Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
Nacht von einem goldenen Leuchten erfüllt, und man hörte das brausende Schwirren von Schwingen, die wie der gewaltige Flügelschlag eines riesigen Fasans anmuteten. Ringsum schrien die Menschen laut auf, einige verwundert, andere vor Entzücken. Ich hob den Kopf. Der Drache kreiste über uns und stieß dann mit seinen mächtigen Flügelschlägen wie in einem Sturmwind derart herab, dass sich das Wasser aufwühlte und die Schiffe auf den hin und her wogenden Wellen tanzen ließ. Er beschrieb noch einmal einen Kreis über das Wasser, dann stürzte er sich in den Fluss hinein. Das goldene Licht, das er verströmt hatte, erlosch in der Nacht, die danach noch sehr viel dunkler erschien.
Unwillkürlich tat ich einen Satz nach hinten, als die Geisterwelle, die sein Eintauchen hervorgerufen hatte, ans Ufer brandete. Alle umstehenden Menschen starrten erwartungsvoll aufs Wasser, während ich ihren Blicken folgte. Erst erkannte ich nichts, doch dann teilten sich die Fluten, und ein gewaltiges Haupt erschien. Wasser strömte an dem goldenen, schlangengleichen Hals hinunter, der als Nächstes sichtbar wurde. In allen mir bekannten Geschichten wurden bei der Schilderung von Drachen immer Würmer, Echsen oder Schlangen zum Vergleich herangezogen. Doch als dieser Drache dem Fluss entstieg und seine wassertriefenden Schwingen entfaltete, musste ich an verschiedene Vögel denken - an jene anmutigen Kormorane, die sich nach dem Sturzflug aus dem Meer erheben, oder an das leuchtende Gefieder von Fasanen im Wald. All das kam mir in den Sinn. Doch dieser Drache war mindestens ebensogroß wie ein Segelschiff, wobei die Spannweite seiner Flügel ein jegliches Segel übertraf. Er verharrte schließlich am Ufer, um sich das Wasser aus den schuppigen Flügeln zu streifen. Wobei das Wort ›Schuppe‹ nur unvollkommen das so überaus reich verzierte Federkleid seiner Flügel beschreibt, und ›Feder‹ wiederum ein zu schwereloses Wort ist, um jene Schwingen wirklich zu beschreiben. Gäbe es denn Federn aus hauchdünn gehämmertem Gold, vielleicht käme das dann einer angemessenen Beschreibung dieses Drachengefieders nahe.
Ich stand da wie angewurzelt und war überwältigt vor lauter Staunen und Bewunderung. Das herrliche Geschöpf nahm mich dagegen nicht im Geringsten wahr. Auf dem Ufer blieb der Drache stehen - wie ein Abbild reinster Magie. Seine vier großen, krallenbewehrten Füße sanken tief in den morastigen Boden, während er sorgfältig seine Schwingen auseinanderfaltete und sich dann sorgfältig den langen, gegabelten Schweif putzte. Sein goldenes Leuchten überstrahlte mich und warf sein Licht auf die versammelten Menschen. Ihre Gesichter hießen ihn Willkommen und drückten tiefe Ehrerbietung aus. Der Drache besaß die hellen Augen eines gut abgerichteten Jagdfalken, und seine Haltung erinnerte in allem an ein edles Streitross. Schließlich setzte er sich majestätisch in Bewegung und schritt auf die Menge zu, die ihm respektvoll einen Weg freimachte.
»Ein Uralter«, sagte ich laut zu mir selbst. Ich folgte ihm, mit den Fingern an den Hauswänden entlangstreifend, um mir sein Bild ganz sicher zu bewahren, während ich doch gleichzeitig eins war mit der genauso verzauberten wie geisterhaften Menge. Die Menschen strömten aus den Tavernen, um sich begeistert dem Festzug anzuschließen. Offensichtlich handelte es sich nicht um ein alltägliches Ereignis. Ich weiß nicht, warum ich dem Festzug folgte und was ich daraus zu erfahren hoffte. Offen gesagt glaube ich, dass ich mir gar nichts dabei dachte, sondern wie alle anderen der Faszination dieser gewaltigen Kreatur, dieses Geschöpfs aus Mythen und Sagen, erlegen war. Gleichzeitig wurde mir nun völlig klar, weshalb man die Hauptstraßen dieser Stadt so breit angelegt hatte: Es ging nicht darum, irgendwelchem Wagenverkehr eine freie Fahrt zu ermöglichen, sondern nur darum, dafür zu sorgen, dass diese überaus hervorragenden Gäste sich ungehindert bewegen konnten.
Vor einem großen Steinbassin machte der Drache Halt, und sofort wetteiferte man darum, für ihn eine Art Seilwinde in Gang zu setzen. Eimer um Eimer hob sich danach in einer aufeinanderfolgenden Kette aus der Tiefe, und jeder Eimer ergoss seinen schillernden Inhalt in ein Becken flüssiger Magie. Als es endlich gefüllt war, neigte der Uralte sein stolzes Haupt und trank daraus. - All das mochte nur reines Blendwerk sein oder pure Illusion, dennoch erwachte bei diesem Anblick ein unheiliges Verlangen in
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