Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
selbstverständlich nicht. Aber ich kann es mir denken. Der Stein, auf den er geklettert ist, muss ein Gabenstein sein, von der gleichen Art wie die Straße und jene Pfeiler. Und irgendwie hat diesmal die Macht der Straße von euch beiden Besitz ergriffen, nicht nur von dir.«
»Wusstest du, dass so etwas geschehen könnte?« Ich wartete keine Antwort ab. »Weshalb hast du uns nicht gewarnt?«
»Ich wusste es nicht!«, fauchte sie und fügte dann etwas kleinlauter hinzu: »Ich hatte nur Vermutungen, und ich hätte nie gedacht, dass einer von euch so töricht sein könnte...«
»Was soll’s!«, fiel ihr der Narr ins Wort. Lachend schob er meinen Arm zur Seite und stand auf. »Fantastisch! Unglaublich! So habe ich mich seit Jahren nicht mehr gefühlt - seit ich ein Kind war nicht mehr. Die Gewissheit, die Klarheit! Krähe, willst du einen Weißen Propheten sprechen hören? Dann öffne deine Ohren und frohlocke, wie ich es tue. Wir sind nicht nur am rechten Ort, sondern auch zur rechten Zeit. Alle Kreuzungspunkte stimmen überein, wir nähern uns mehr und mehr dem Mittelpunkt des Netzes. Du und ich.« Er umfasste plötzlich meine Hand und neigte seine Stirn gegen die meine. »Wir sind sogar, wer wir sein sollten!« Er ließ mich los und schlug den Salto, den ich vorhin von ihm erwartet hatte, kam wieder auf die Füße, verbeugte sich schwungvoll vor uns und lachte übermütig. Wir alle gafften ihn verständnislos an.
»Du schwebst in großer Gefahr!«, warnte Krähe ihn ernst.
»Ich weiß«, antwortete er beinahe ebenso ernsthaft und fügte dann hinzu: »Wie schon gesagt, genau am rechten Ort.« Er wandte sich an mich. »Hast du meine Krone gesehen? War sie nicht prachtvoll? Ich frage mich, ob es mir gelingen wird, sie aus dem Gedächtnis nachzuschnitzen.«
»Ich habe die Hahnenkrone gesehen«, sagte ich gedehnt. »Doch was ich von all dem halten soll, das weiß ich nicht.«
»Nein?« Er legte den Kopf schräg und lächelte mitleidig. »O Firlefitz, ich würde es dir erklären, wenn ich könnte. Es ist nicht so, dass ich Geheimnisse bewahren will, aber diese Geheimnisse lassen sich nicht in bloße Worte fassen. Sie sind mehr ein Gefühl, eine Ahnung von Richtigkeit. Willst du mir vertrauen?«
»Du bist wieder ganz und gar lebendig«, sagte ich erstaunt. Seit den Tagen, als es ihm noch gelungen war, König Listenreich ein herzliches Lachen zu entlocken, hatte ich seine Augen nicht mehr so leuchten sehen.
»Ja«, antwortete er sanft. »Und wenn wir unser Werk vollbracht haben, verspreche ich dir, wirst auch du es wieder sein.«
Die drei Frauen standen abseits, sahen uns verständnislos zu und fühlten sich ausgeschlossen. Als ich in ihren Gesichtern zuerst Merles Unmut, dann Krähes vorwurfsvollen Blick und schließlich bei Kettricken die Entrüstung sah, musste ich plötzlich grinsen. Der Narr hinter mir kicherte nur. Und sosehr wir uns bemühten, wir konnten ihnen nicht zu ihrer Zufriedenheit erklären, was geschehen war. Trotzdem verschwendeten wir viel Zeit damit, es zu versuchen.
Dann holte Kettricken wieder die beiden Karten hervor und beugte sich grübelnd über sie. Als ich mit meiner Karte zu dem Pfeiler ging, um die Schriftzeichen zu vergleichen, bestand Krähe darauf mitzukommen. Eine ganze Reihe der Zeichen stimmten überein, aber das Einzige, das Kettricken entziffern konnte, war wieder nur die Rune für ›Stein‹. Als ich den Vorschlag machte und mich anbot, doch auszuprobieren, ob dieser Pfeiler ebenfalls die Macht hatte, mich an einen anderen Ort zu versetzen, untersagte sie es mir kategorisch. Ich schäme mich zugeben zu müssen, dass ich dabei unsäglich erleichtert war. »Wir haben diese Reise gemeinsam angetreten, und soweit es mich angeht, werden wir sie auch gemeinsam beenden«, erklärte sie düster. Ihr war deutlich der Argwohn anzumerken, dass der Narr und ich ihr etwas verschwiegen.
»Was schlagt Ihr denn als Nächstes vor?«, fragte ich.
»Wir folgen der alten Straße, die in den Wald führt. Mir scheint, das stimmt mit dem überein, was hier eingezeichnet ist. Wir dürften nicht mehr als zwei Tage brauchen, um an ihr Ende zu kommen, besonders, wenn wir jetzt gleich aufbrechen.«
Und ohne ein weiteres Wort stand sie auf und schnalzte mit der Zunge. Das Leittier der Jeppas kam sofort zu ihr, und die anderen folgten ihm. Mit langen, gleichmäßigen Schritten ging sie an der Spitze der Tiere die grasüberwachsene Straße entlang.
»Nun, worauf wartet ihr?«, fuhr Krähe den Narren
Weitere Kostenlose Bücher