Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
zur Seite. »Sie glaubt, dass der Narr eine Frau ist und dass du heute Nacht ein Stelldichein mit ihr hattest. Es kränkt sie, dass du ihr überhaupt keine Beachtung schenkst.«
Ich fand die Sprache wieder. »Majestät, ich habe nichts gegen Merle. Um die Wahrheit zu sagen, sie ist es doch, die mir aus dem Weg geht und nichts mehr mit mir zu tun haben will, seit sie erfahren hat, dass ich über die Alte Macht gebiete und mit einem Wolf verschwistert bin. Weil ich sie respektiere, habe ich es vermieden, ihr meine Gesellschaft aufzudrängen. Was ihre Behauptung über den Narren angeht, sicherlich findet Ihr sie ebenso absurd wie ich.«
»Glaubst du?« Kettricken wiegte den Kopf. »Alles, was ich dazu sagen kann, ist, dass er kein Mann wie andere Männer ist.«
»Das kann ich nicht abstreiten. Er ist ziemlich einzigartig unter all den Menschen, denen ich je begegnet bin.«
»Kannst du Merle nicht etwas mehr Freundlichkeit entgegenbringen?«, fragte Kettricken. »Ich bitte dich nicht, ihr den Hof zu machen, nur, dass sie sich nicht wegen deiner Gleichgültigkeit vor Eifersucht verzehrt.«
Ich presste die Lippen zusammen und musste meine Empörung hinunterschlucken, bevor ich mir eine höfliche Antwort abringen konnte. »Majestät, ich bin gerne bereit, wie ich es immer war, ihr meine Freundschaft anzubieten, obwohl sie in letzter Zeit durch nichts hat erkennen lassen, dass sie darauf Wert legt, geschweige denn auf mehr als das. Auch ist es nicht so, dass ich sie verschmähe oder irgendeine andere Frau. Aber mein Herz ist bereits vergeben. Ebenso falsch wäre es ja auch zu sagen, dass zum Beispiel Ihr mich verschmäht, weil Ihr das Bildnis Eures Gemahls im Herzen tragt.«
Kettricken warf überrascht von diesem Vergleich und warf mir einen eigentümlichen Blick zu. Einen Moment lang schien sie verwirrt zu sein, dann schenkte sie ihre Aufmerksamkeit wieder der Landkarte, die auf ihren Knien ausgebreitet lag. »Wie ich befürchtet habe. Alles ist nur noch schlimmer geworden, weil ich zu dir gesprochen habe. Ich bin so müde, Fitz. Immer liegt mir Verzweiflung wie ein Schatten auf dem Gemüt, und Merles Niedergeschlagenheit ist für mich wie Sand auf rohem Fleisch. Ich habe nur versucht, zwischen euch zu vermitteln. Es tut mir leid, wenn ich mich eingemischt habe. Aber du bist immer noch jung und ansehnlich und wirst sicher nicht zum letzten Mal solche Eifersüchteleien erleben.«
»Ansehnlich?« Ich lachte laut auf, ungläubig und bitter. »Mit diesem Narbengesicht und meinem zerschlagenen Körper? Es ist einer meiner Alpträume, dass Molly, wenn sie mich wiedersieht, sich entsetzt von mir abwenden wird. Ansehnlich.« Mir schnürte sich die Kehle zusammen, und ich konnte nicht weitersprechen. Nicht, dass ich meinem glatten Gesicht so sehr nachgetrauert hätte, aber mich bedrückte der Gedanke, dass ich Molly eines Tages so entstellt gegenübertreten musste.
»Fitz,«, sagte Kettricken eindringlich wie eine Freundin, nicht wie die Königin. »Ich spreche zu dir als eine Frau, um dir zu sagen, dass du trotz deiner Narben nicht der hässliche Kerl bist, als den du dich selbst zu betrachten scheinst. Du bist immer noch ein gewinnender junger Mann - und zwar in vielerlei Hinsicht, die nichts mit deinem Gesicht zu tun hat. Und wäre mein Herz nicht erfüllt von Veritas, würde ich dich nicht verschmähen.« Sie streckte die Hand aus und strich mit kühlen Fingern über das Mal in meinem Gesicht, als könnte ihre Berührung es auslöschen. Mir ging das Herz auf - und es war wie ein Nachhall der tief mitempfundenen Leidenschaft Veritas’ für seine Gemahlin, der sich durch meine Dankbarkeit für ihre Freundlichkeit und Güte nur noch verstärkte.
»Ihr seid wahrlich der Liebe meines Königs würdig«, sagte ich einfach und aus reinstem Herzen.
»Oh, schau mich nicht so an mit seinen Augen.« Kettricken erhob sich schroff, drückte die Karte an die Brust wie einen Schild und verließ die Jurte.
KAPITEL 30
DER STEINERNE GARTEN
B urg Barchent, ein sehr kleines Rittergut an der Küste von Bock, fiel, kurz bevor Edel sich selbst zum König der Sechs Provinzen krönte. Zahlreiche Dörfer wurden in jener schrecklichen Zeit in Schutt und Asche gelegt, und nirgends existieren Listen über die genaue Anzahl der Toten und Entfremdeten. Kleine Burgen wie Barchent waren ein bevorzugtes Angriffsziel der Roten Korsaren, denn ihre Strategie zielte darauf ab, Breschen in die Verteidigungslinie entlang der Küste zu schlagen und sie
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