Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
genug. Ich nutzte diese Gelegenheit, um meine Schutzwehren zu schließen. Dann stürmte ich sofort los, um meinen Wolf beim Angriff auf Burl zu unterstützen.
Enttäuscht nahm ich schließlich wahr, wie weit sie doch von mir entfernt waren. Ich bekam Burl nicht einmal flüchtig zu Gesicht und sah die folgenden Szenen nur durch die Augen des Wolfs: So fett und schwerfällig Burl auch sein mochte, mit der Angst im Nacken erwies er sich doch als ausgezeichneter Läufer. Trotz seiner panischen Anstrengungen hätte Nachtauge ihn sicher noch zu Boden gerissen, wenn das Rennen doch nur über eine größere Distanz gegangen wäre. So aber riss Nachtauge ihm bei seinem ersten Ansprung zwar den Umhang herunter, beim zweiten Anlauf schlug er ihm sogar die Zähne in Hosenbein und Fleisch, doch Burl rannte weiter, als wäre nichts geschehen. Mit den Augen Nachtauges sah ich Burl dann den Rand des gepflasterten Marktplatzes erreichen und mit hilfesuchender Hand auf den schwarzen Pfeiler zustürmen. Seine Fingerspitzen berührten den schimmernden Stein, worauf Burl von einem Augenblick zum anderen in dem Pfeiler verschwunden war.
Der Wolf machte mitten im vollen Lauf Halt. Seine Krallen scharrten über das schlüpfrige Pflaster. Er zeigte eine große Angst vor dem Menhir, als wäre Burl in einem flammenden Leuchtfeuer verschwunden. Nur knapp davor kam er zum Stehen, worauf er heiser knurrte und seine Zähne bleckte, und das nicht nur vor Wut, sondern in wahnwitziger Angst. All das erlebte ich mit, obwohl ich doch weit vom Schauplatz des Geschehens entfernt irgendwo stolpernd durch die Nacht hastete.
Plötzlich brach eine Woge der Gabe über mich hinein. Sie traf mich nur auf der Ebene des Bewusstseins. Trotzdem schleuderte mich die Wucht des Aufpralls zu Boden, und es verschlug mir für einen schrecklichen Augenblick den Atem. Ich lag da wie ein Fisch auf dem Trockenen und jedem ausgeliefert, der sich meiner bemächtigen wollte. Vielleicht war es in diesem Moment meine Rettung, dass ich dabei nicht die geringste Spur der Gabe in mir fühlte.
Doch ich hörte noch die anderen. Ich war zwar nicht direkt über den Gabenstrom mit ihnen verbunden, doch ihre Gedanken erzeugten ein sinnloses Getöse, ein Chaos der Furcht, das langsam in der Ferne verklang, als hätte sie der Gabenstrom erfasst und fortgerissen. Fast hätte ich vor Verblüffung über das, was ich spürte, nach ihnen gegriffen. Es schien beinahe so, als ob es sie in Stücke zerschmettert hätte, denn ihre dahinschwindende Verwirrung brandete bald nur noch in schwächer werdenden Wellen gegen mein Bewusstsein. Ich schloss die Augen. Dann hörte ich Krähe, die angstvoll meinen Namen rief. Panik lag in ihrer Stimme.
Nachtauge!
Ich bin bereits auf dem Weg. Komm nach. Ich folgte seinem Befehl widerspruchslos.
Ich war völlig zerkratzt und schmutzig, und ein Hosenbein zerrissen, als ich bei der Jurte eintraf. Krähe stand davor und wartete auf mich. Sie hatten das Feuer geschürt, um uns eine Orientierungshilfe zu geben. Als ich sie vor mir erkannte, beruhigte sich mein Herzschlag etwas. Denn nicht ohne Grund hatte ich damit gerechnet, dass auch meine Gefährten angegriffen würden. »Was ist?«, rief ich schon von weitem.
»Der Narr«, antwortete sie und fügte hinzu: »Wir hörten einen lauten Aufschrei und liefen hinaus. Dann hörte ich den Wolf knurren. Wir gingen dem Geräusch nach und fanden den Narren.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht genau, was ihm zugestoßen ist.«
Ich wollte mich an ihr vorbei ins Zelt schieben, aber sie hielt mich am Arm fest. Für eine alte Frau besaß sie bemerkenswert viel Kraft. Sie zog mich zu sich herum, so dass wir uns ins Gesicht schauten. »Du bist angegriffen worden?«, stellte sie mehr fest, als dass sie fragte.
»Wie man es nimmt.« In kurzen Worten berichtete ich ihr, was sich zugetragen hatte. Bei der Erwähnung der Gabenwoge wurden ihre Augen groß.
Als ich alles erzählt hatte, nickte sie grimmig vor sich hin. Sie fühlte sich in ihren Vermutungen bestätigt. »Sie haben nach dir gegriffen und stattdessen ihn zu fassen bekommen. Er war ihnen schutzlos ausgeliefert. Soweit ich es beurteilen kann, haben sie ihn selbst jetzt noch in ihrer Gewalt.«
»Was? Wie?«, fragte ich verstört.
»Dort hinten, auf dem Marktplatz. Ihr beide wart durch die Gabe verbunden, für einen kurzen Augenblick wenigstens, durch die Macht des Steins und die Kraft deiner selbst. Dabei entsteht eine Art... ›Pfad‹. Je häufiger es zu
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