Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
bewerkstelligen lässt. Sieh nach, was wir noch an Lebensmitteln haben, und bereite ein Abendessen vor - ein großzügiges Abendessen. Ich glaube, wir alle können es brauchen. Ich werde binnen kurzem mit Feuerholz und frischem Wasser zurückkommen - und vielleicht finde ich ja ein wenig Grünzeug, falls ich Glück habe.« Er warf mir einen kurzen Blick zu. »Hab auf den König acht«, sagte er mit gedämpfter Stimme, bevor er sich entfernte. Merle schaute dem Narren mit offenem Mund hinterher, dann erhob sie sich und ging schnell auf die Suche nach den Jeppas, die sich im Gelände zerstreut hatten. Krähe folgte ihr kurz darauf etwas langsamer.
Und so stand ich nach der langen Zeit und dem weiten Weg allein meinem König gegenüber. »Komm zu mir«, hatte er mir befohlen, und ich hatte gehorcht. Einen kurzen Augenblick lang empfand ich so etwas wie einen inneren Frieden, weil die unerbittliche Stimme in meinem Kopf endlich verstummt war. »Nun, hier bin ich, Majestät«, sagte ich zu ihm wie zu mir selbst.
Veritas schwieg. Er hatte mir den Rücken zugewandt und angefangen, mit seinem Schwert die Skulptur zu traktieren. Er lag auf den Knien, hielt das Schwert am Griff und an der Klinge und kratzte mit der Spitze über den Stein am Vorderlauf des Drachen. Ich trat näher heran, um mir anzusehen, was er damit bezweckte. Sein Gesicht war so konzentriert, seine Bewegungen so zielstrebig, dass ich nicht wusste, was ich von seinem Benehmen halten sollte. »Veritas, was tut Ihr?«, fragte ich behutsam.
Er hob nicht einmal den Blick. »Ich erschaffe einen Drachen.«
Mehrere Stunden später war er noch immer zugange. Das monotone Scharren von Metall auf Stein zerrte an meinen Nerven, bis ich glaubte, aus der Haut fahren zu müssen. Doch es war meine Aufgabe, bei ihm auszuharren. Merle und der Narr hatten unsere Jurte sowie ein zweites, kleineres Zelt aufgebaut, das aus unseren nun überflüssigen Winterdecken zusammengestückelt war. Ein Feuer brannte, und Krähe wachte über einen brodelnden Topf. Der Narr putzte und wusch seine gesammelten Kräuter und Wurzeln, derweil Merle in den Zelten das Bettzeug richtete. Kettricken war aufgetaucht, aber nur kurz, um Bogen und Köcher zu holen und uns mitzuteilen, dass sie mit Nachtauge auf die Jagd gehen wolle. Der Wolf hatte mir einen funkelnden Blick zugeworfen, weshalb ich darüber kein weiteres Wort verlor.
Meine Versuche, in Erfahrung zu bringen, was sich bei Veritas alles zugetragen hatte, fruchteten kaum. Die Mauern um sein Bewusstsein waren zu hoch und zu fest. Ich empfing nur eine schwache Ahnung der Gabe von ihm, und was ich entdeckte, als ich nach ihm spürte, war noch beunruhigender. Ich erfasste einen unsteten Strom der Alten Macht, vermochte ihn mir aber nicht zu erklären. Es war, als ob Veritas’ Leben und Bewusstsein zwischen seinem Körper und der Skulptur des Drachen hin und her wechselten. Dann fiel mir ein, wo mir bereits einmal etwas Vergleichbares aufgefallen war: bei dem Schwarzen Rolf und seinem Bären. Zwischen ihnen hatte es eine ähnliche Strömung gegeben. Ich vermute, wenn jemand zu mir und dem Wolf hingespürt hätte, dann wäre er auf das gleiche Phänomen gestoßen. Wir waren seit so langer Zeit verschwistert, dass wir fast eins geworden waren. Das erklärte allerdings weder, wie Veritas sich mit einem Steinbildnis hatte verschwistern können, noch weshalb er darauf bestand, mit seinem Schwert daran herumzukratzen. Es juckte mich, nach der Waffe zu greifen und sie ihm zu entreißen, doch ich konnte mich beherrschen. Um die Wahrheit zu sagen, er ging mit einer Besessenheit zu Werke, dass ich mich fast fürchtete, ihn zu stören.
Anfangs hatte ich mich bemüht, etwas aus Veritas herauszubekommen. Als ich ihn nach dem Schicksal derer fragte, die mit ihm von Bocksburg ausgezogen waren, hatte er nur den Kopf geschüttelt. »Sie bedrängten uns wie ein Schwarm Krähen einen Adler, machten sich krächzend über uns her, hackten auf uns ein und flohen gleich wieder, wenn wir uns offen zum Kampf stellen wollten.«
»Krähen?«, fragte ich verständnislos.
Er schüttelte den Kopf über meine Begriffsstutzigkeit. »Gedungene Söldner. Sie schossen aus dem Hinterhalt auf uns. Manchmal überfielen sie uns nachts. Und einige meiner Männer wurden von der Gabenkraft des Zirkels irre. Ich vermochte nicht, das Bewusstsein derer abzuschirmen, die beeinflussbar waren. Sie sandten ihnen nächtliche Trugbilder und säten Misstrauen unter ihnen. Deshalb trug ich
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