Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
wollte mich auf den oberen Teil stützen, um mein verletztes Knie zu entlasten, doch sofort richtete Krähe sich auf und zischte mich an. »Lass das sein! Fass ihn nicht an!«
Unwillkürlich zuckte ich zurück. »Ich habe ihn schon angefasst. Es hat ihm nicht geschadet.«
»Ihm wird es nicht schaden, aber dir.« Sie schaute zu mir auf. Steinstaub bedeckte ihr Gesicht und haftete an ihren Wimpern. Sie sah aus wie ein Gespenst, kaum mehr von dieser Welt, doch angetrieben von einer unerbittlichen inneren Kraft. »Er ist jetzt der Vollendung schon so nah, und weil du gleichzeitig Veritas so nahe bist, würde der Drache nach dir greifen, so dass du ihm nicht widerstehen könntest. Er würde dich verschlingen. So stark ist er bereits, so herrlich stark.« Die letzten Worte kamen ihr beinahe zärtlich über die Lippen, während sie wieder mit den Händen über den Schweif streichelte. Flüchtig glaubte ich einen Schimmer Farbe im Zuge der Berührung wahrzunehmen.
»Wird mir irgendwann jemand erklären, was das alles hier zu bedeuten hat?«, fragte ich aufgebracht.
Krähe musterte mich mit nachdenklichem Blick. »Ich versuche es. Veritas versucht es, aber besonders du solltest wissen, wie unzulänglich bei allem Worte sind. Wir erklären und erklären und erklären, und immer noch vermag dein Verstand es nicht zu fassen. Es ist nicht deine Schuld. Worte sind nicht groß genug. Und es ist zu gefährlich, dich zu diesem Zeitpunkt in unsere Gabe einzubeziehen.«
»Werdet ihr es mir begreiflich machen können, wenn der Drache vollendet ist?«
Ein Ausdruck von Mitleid erfüllte ihr Gesicht. »FitzChivalric, mein lieber Freund. Wenn der Drache vollendet ist? Wenn der Drache vollendet ist, das ist der Augenblick, in dem er beginnt und wir aufhören.«
»Du sprichst schon wieder in Rätseln!«
»Aber er hat es dir doch schon gesagt. Und ich habe es auch gesagt, als ich den Narren warnte. Drachen ernähren sich von Leben. Von ganzem Leben, das ihnen freiwillig dargebracht wird. Nur damit kann sich ein Drache in die Lüfte erheben. Und für gewöhnlich ist es nicht nur ein einziges Leben. In früherer Zeit, wenn weise Männer nach Jhaampe gingen, kamen sie als Zirkel und als ein Ganzes, das mehr ist als die Summe seiner einzelnen Teile, und gaben all das in einen Drachen. Der Drache muss gespeist werden. Veritas und ich müssen unser ganzes Selbst, jeden Augenblick unseres Lebens in ihn einfließen lassen. Für mich ist es leichter. Eda weiß, ich habe mehr als die mir zustehende Spanne von Jahren gelebt und hänge nicht mehr an meinem Körper. Für Veritas ist es schwerer, viel schwerer. Er lässt seinen Thron zurück, seine schöne, liebende Gemahlin, seine Freude an dem, was seine Hände erschaffen. Die Ausritte auf einem edlen Ross, die Hirschjagd, die Begegnung mit seinem Volk - all das kann ich bereits von ihm in dem Drachen fühlen. Der feine Strich der Feder auf einer Landkarte, das Gefühl eines frischen Bogens Pergament unter seinen Händen. Ich kenne sogar den Geruch seiner Tinten. All das hat er dem Drachen gegeben. Es fällt ihm schwer, doch er gibt es preis, und der Schmerz, den er dabei empfindet, ist ein weiteres Geschenk für den Drachen, um seinen Zorn auf die Roten Schiffe zu schüren, wenn er sich erhebt, um sie zu vernichten. Nur eins hat er dem Drachen vorenthalten. Eins nur, das ihn vielleicht um den Lohn für all diese Opfer bringt.«
»Und was ist das?«, fragte ich sie unwillig.
Ihre alten Augen begegneten meinem Blick. »Du bist es. Er hat sich geweigert, auch dich dem Drachen hinzugeben. Er könnte es tun, das musst du wissen - ob du es willst oder nicht. Er könnte einfach hinausgreifen und dich in sich hineinziehen. Doch er will es nicht. Er sagt, du liebst dein Leben zu sehr. Er will es dir nicht nehmen, da du bereits zu viel davon für einen König geopfert hast, der es dir nur mit Schmerz und aufopfernder Mühsal vergalt.«
Wusste sie, dass sie mir mit diesen Worten Veritas zurückgab? Ich nehme es doch an. Mir war vieles von Krähes Vergangenheit vergegenwärtigt worden, während wir mit der Gabe verbunden waren, wobei ich wusste, wie auch ich für sie ein offenes Buch gewesen war. Sie wusste, wie ich ihn liebte und wie sehr es mich verletzt hatte, ihn bei unserer Ankunft hier so gleichgültig mir gegenüber vorzufinden. Ich stand auf, um zu ihm zu gehen und mit ihm zu sprechen.
»Fitz,!«, rief sie mich zurück. Ich drehte mich noch einmal um. »Zwei Dinge sollst du wissen, auch wenn sie
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