Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
knurrte dem Drachen entgegen, so dass ich es sowohl in meinem Bewusstsein als auch laut neben mir verspürte.
Zu meiner Überraschung zog der Drache sich zurück. Mein Gefährte schnappte nach meiner Schulter. Lass los. Geh weg davon!
Ich nahm die Hände von der Drachentatze. Als ich die Augen aufschlug, bemerkte ich überrascht, dass es immer noch Nacht war.
Der Narr hatte die Arme um Nachtauge geschlungen. »Fitz«, sagte er bedrückt. Er sprach dem Wolf in sein Halsfell hinein, aber ich verstand ihn deutlich. »Fitz, es tut mir leid. Aber du kannst nicht all deine Schmerzen weggeben. Wenn du aufhörst, Schmerz zu empfinden...«
Ich hörte nicht, was er weiter sagte. Ich starrte nur auf die Vorderpranke des Drachen. Wo zuvor meine Hände auf dem plumpen unebenen Stein gelegen hatten, waren jetzt zwei Abdrücke zu sehen. Innerhalb dieser Konturen war jede einzelne Schuppe perfekt ausgeformt und geprägt. All das und wofür, dachte ich. All das, und dabei war so wenig Drache für mich herausgekommen. Dann dachte ich an Veritas’ Drachen. Er war im Vetgleich ganz und gar riesig. Wie hatte Veritas all das nur fertiggebracht? Was hatte er über all die Jahre in seinem Innern angesammelt, um genug Material für die Erschaffung eines solchen Drachen zu haben?
»Er ist ein tiefes Wasser, dein Onkel. Angefüllt mit großer Liebe und ungeheurer Loyalität. Manchmal glaube ich, meine zweihundert Jahre verblassen gegenüber dem, was er in dem nicht einmal halben Jahrhundert seines Lebens gefühlt hat.«
Alle drei wandten wir uns Krähe zu. Ich hatte gewusst, dass sie kam, mich aber nicht weiter darum gekümmert. Sie stützte sich schwer auf ihren Stock, und ihr Gesicht wirkte wie eingefallen. Unsere Blicke trafen sich, und mir wurde klar, dass sie über alles Bescheid wusste. Durch die Gabe mit Veritas verbunden, waren sie wie eins. »Kommt herunter da. Alle miteinander, bevor ihr euch wehtut.«
Wir gehorchten zögernd und ich zögerte am längsten von allen. Veritas’ Gelenke schmerzten; sein Körper war müde. Krähe musterte mich böse, als ich endlich neben ihr stand. »Wenn du unbedingt etwas loswerden wolltest, hättest du es auch in Veritas’ Drachen hineinlegen können«, meinte sie.
»Er hätte es nicht zugelassen, und du hättest es auch nicht zugelassen.«
»Nein, das hätten wir nicht. Ich will dir etwas sagen, Fitz. Eines Tages wirst du all das vermissen, was du jetzt leichtfertig weggegeben hast. Nach und nach wird einiges von diesen Gefühlen natürlich wiederkehren. Alle Erinnerungen sind miteinanderverwoben, und wie eines Menschen Haut können auch sie heilen. Doch mit der Zeit hätte der Schmerz der Erinnerung ganz von selbst aufgehört, und glaub mir, eines Tages wünschst du dir vielleicht einmal, du könntest jenen Schmerz noch einmal in seiner ganzen Schärfe in dir spüren.«
»Das glaube ich kaum«, sagte ich ruhig, um meinen Zweifel zu überspielen. »Ich habe noch reichlich Schmerzen übrig.«
Krähe hob ihr Greisinnengesicht in die Nacht und nahm einen tiefen Atemzug. »Der Morgen dämmert«, sagte sie dann, als hätte sie ihn gewittert. »Zeit, dass du zu dem Drachen zurückkehrst. Zu Veritas’ Drachen. Und ihr zwei«, sie richtete den Blick auf Nachtauge und den Narren, »ihr zwei solltet zu dem Aussichtspunkt gehen und schauen, ob Edels Truppen schon in Sichtweite sind. Wolf, du wirst es Fitz mitteilen, wenn du etwas entdeckst. Marsch, marsch, alle beide. Und Narr - du wirst das Mädchen auf dem Drachen von nun an in Ruhe lassen. Du müsstest ihr ansonsten dein ganzes Leben darbringen, und selbst das würde noch nicht genug sein. Also hör auf, dich und sie zu quälen. und nun beeilt euch!«
Sie gehorchten, schauten aber noch einige Male über die Schulter zu uns zurück. »Komm jetzt«, forderte Krähe mich ungeduldig auf und trat humpelnd den Rückweg an. Ich folgte ihr nicht weniger steif durch das schwarze und silberne Schattenmuster der Felsquader, die in dem Steinbruch verstreut lagen. Krähe sah nun mindestens so alt aus wie eine zweihundert Jahre alte Frau, aber ich fühlte mich sogar noch älter. Ich hatte überall Schmerzen und meine Gelenke knirschten bei jedem Schritt. Ich hob die Hand und kratzte mich am Ohr; dann zog ich sie hastig zurück. Denn Veritas würde von nun an wohl ein silbernes Ohr haben. Schon jetzt brannte mir dort die Haut und es kam mir vor, als ob die Grillen und die anderen nächtlichen Insekten nur noch umso lauter zirpten.
Ȇbrigens, es tut mir
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