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Fitz der Weitseher 2 - Der Schattenbote

Fitz der Weitseher 2 - Der Schattenbote

Titel: Fitz der Weitseher 2 - Der Schattenbote Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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empfand sofort seinen Schmerz über dieses Zögern. Deshalb warf ich alle Bedenken über Bord und griff nach ihm wie er nach mir. Vertrauen ist kein Vertrauen, solange es nicht vollkommen ist. So nahe waren wir uns, dass ich nicht weiß, wer es dachte. Als Nachtauges Sinneseindrücke die meinen überlagerten, nahm ich die Welt einen Augenblick lang auf zweierlei Art wahr: wie für ihn die Toten rochen; Geräusche, das Heranschleichen der aasfressenden Füchse, die sich zum Festmahl sammelten; eintönig, aber scharf um rissen, die Welt in der Abenddämmerung. Dann war es vorüber, und ich hatte Teil an seinen Sinnen und er an meinen. Wir waren verbunden.
    Kälte zog über das Land und kroch auch in meine Knochen. Wir fanden meinen Umhang, übersät mit gefrorenen Schneeklumpen, aber ich schüttelte ihn aus und warf ihn mir über die Schultern, wobei ich darauf achtete, dass er nicht die Bisswunde an meinem Hals berührte. Ich zog auch die Fäustlinge an, trotz der Verletzung an meinem Unterarm. »Wir müssen uns auf den Weg machen«, sagte ich. »Zu Hause kümmere ich mich um unsere Blessuren, doch erst müssen wir ins Warme kommen.«
    Ich fühlte seine Zustimmung. Unterwegs hielt er sich neben und nicht - wie vorher - hinter mir. Einmal hob er den Kopf, um im Wind Witterung aufzunehmen. Doch es war nur kalt und voller Schnee. Seine Nase vermittelte mir die Gewissheit, dass keine neue Gefahr von Entfremdeten drohte. Die Luft war rein, bis auf den Gestank der Toten hinter uns, der sich mit der scharfen Ausdünstung der Füchse vermischte.
    Du hast dich geirrt, meinte er. Allein ist keiner von uns ein guter Jäger. Daraus klang ein hinterlistiger Ton der Belustigung. Außer du glaubst, du hättest vorhin meiner Hilfe nicht bedurft.
    »Ein Wolf ist nicht dazu bestimmt, allein zu jagen«, antwortete ich, bemüht, einen Rest Würde zu wahren.
    Er ließ die Zunge aus dem Maul heraushängen. Keine Angst, kleiner Bruder. Ich werde bei dir sein.
    Nebeneinander gingen wir weiter durch den knirschenden weißen Schnee und die wie mit schwarzer Tusche gezeichneten Schatten der Bäume. Nicht mehr weit bis nach Hause, ermunterte er mich. Ich fühlte die Kraft seiner Ermutigung, als wir müde und humpelnd das letzte Stück Wegs in Angriff nahmen.
     
    Es war beinahe Mittag, als ich mich vor der Tür von Veritas’ Kartenzimmer befand. Mein Unterarm war kunstgerecht verbunden und von einem weiten Ärmel getarnt. Die Wunde an sich war nicht schwer, aber schmerzhaft. Der Biss an der Stelle zwischen Schulter und Hals war jedoch nicht so leicht zu verbergen. Als ich die Wunde nach unserer Heimkehr in einem Spiegel betrachtete, wäre mir beinahe übel geworden. Mit fehlte ein ganzes Stück Fleisch, und hätte Nachtauge nicht eingegriffen, wäre diesem ersten Bissen noch mehr von mir gefolgt. Ich kann nicht in Worte fassen, welches Grauen die Vorstellung in mir erregte. Es war mir schließlich gelungen, auch diese Wunde zu verbinden, wenn auch mehr schlecht als recht, dann hatte ich das Hemd hochgezogen und bis oben hin geschlossen. Es scheuerte an der Wunde, was schmerzhaft war, aber wenigstens war nichts mehr davon zu sehen. Mit einem etwas mulmigen Gefühl klopfte ich an und räusperte mich, als geöffnet wurde.
    Charim sagte mir, Veritas wäre nicht da. Ich versuchte, mich dabei von seinem sorgenvollen Blick nicht anstecken zu lassen. »Er kann die Arbeit nicht den Schiffsbauern überlassen, habe ich Recht?« Der langjährige treue Diener seines Herrn quittierte meinen gezwungenen scherzhaften Ton mit einem missbilligenden Kopfschütteln. »Nein. Er ist oben in seinem Turm«, beschied er mich kurz und schloss die Tür.
    Nun, eigentlich war ich von Kettricken vorgewarnt worden, aber ich hatte mich bemüht, diesen Teil unserer Unterhaltung zu vergessen. Schweren Herzens machte ich mich auf den Weg. Veritas hatte keine Veranlassung, sich in diesem Turm aufzuhalten. Von dort aus machte er im Sommer von der Gabe Gebrauch, wenn das Wetter gut war und die Pi raten vor unseren Küsten auftauchten. Es gab keinen Grund, sich im Winter dort aufzuhalten, erst recht nicht, wenn es wie heute stürmte und schneite. Keinen Grund, außer der süchtig machenden Versuchung der Gabe selbst.
    Ich hatte diese Verlockung gespürt, rief ich mir ins Gedächtnis, während ich mich schwerfällig daran machte, die lange Wendeltreppe zu erklimmen. Ich hatte die rauschhafte Euphorie der Gabe kennengelernt. Wie die längst verdrängte Erinnerung an einen lange

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