Fitz der Weitseher 2 - Der Schattenbote
Erwartung des nächsten Sommers. Die Webstühle werden mit bunteren Garnen bespannt, und ein Ende der großen Halle gehört den Webern, die untereinander um die heitersten Muster und die leichtesten Stoffe wetteifern. Die Geschichten, die dabei erzählt werden, handeln von den Anfängen der Dinge und von der Erschaffung der Welt.
Am Nachmittag versuchte ich, bei König Listenreich vorgelassen zu werden. Trotz aller Geschehnisse hatte ich das mir selbst gegebene Versprechen nicht vergessen. Wallace wies mich ab - angeblich fühlten Seine Majestät sich nicht wohl und wollten nicht gestört werden. Ich hatte danach nicht übel Lust, mit den Fäusten an die Tür zu hämmern oder nach dem Narren zu rufen, er solle Wallace dazu bringen, mich einzulassen, aber ich tat es nicht. Ich war mir der Freundschaft des Narren nicht mehr so Sicher wie früher. Seit unserer letzten unerfreulichen Begegnung waren wir uns nicht mehr über den Weg gelaufen. Der Gedanke an ihn erinnerte mich an seine Spottverse und ihren ernsten Hintergrund. Deshalb befasste ich mich in meinem Zimmer wieder mit Veritas’ Schriftrollen.
Das Lesen machte mich schläfrig. Selbst der verdünnte Baldriantee war noch stark genug gewesen und entfaltete jetzt seine Wirkung. Lethargie bemächtigte sich meines Körpers. Ich schob die Pergamentrollen zur Seite und dachte über andere Möglichkeiten nach, Gabenkundige ausfindig zu machen. Vielleicht half eine öffentliche Verlautbarung während des Winterfestes, dass alle mit der Gabe Geschulten gesucht würden und seien sie auch noch so alt und zu schwach? Oder brachte das diejenigen in Lebensgefahr, die sich meldeten? Dann dachte ich an die offensichtlichen Kandidaten und Altersgenossen, die mit mir zusammen ausgebildet worden waren. Keiner von ihnen hegte mir gegenüber irgendwelche Sympathien, aber deshalb konnten sie ja dennoch dem Kronprinzen treu ergeben sein. Von Galens Ansichten womöglich ein wenig verdorben, aber ließ sich das nicht kurieren? August kam dagegen nicht in Betracht. Bei dem Vorfall in Jhaampe - Edels fehlgeschlagenem Mordversuch an seinem Bruder Veritas - war die Gabe aus seinem Hirn gebrannt worden. Er hatte sich unauffällig auf ein Landgut am Vinfluss zurückgezogen und war vor der Zeit gealtert - so hieß es zumindest. Doch wir waren insgesamt acht gewesen, die die Ausbildung überstanden hatten. Sieben waren von der Prüfung zurückgekehrt. Ich hatte sie nicht bestanden, August war aus besagten Gründen aus dem Rennen. Blieben also fünf.
Ein kleiner Zirkel. Ob sie mich alle mit der gleichen Hingabe verabscheuten wie Serene? Sie ließ mich nicht im Unklaren darüber, dass ich in ihren Augen schuld war an Galens Tod. Waren die anderen ebenso gut informiert? Ich versuchte sie mir einen nach dem anderen ins Gedächtnis zu rufen: Justin. Sehr von sich eingenommen und zu stolz auf seine Gabe. Carrod. Früher ein schläfriger, liebenswerter Bursche. Die wenigen Male, die ich ihn seit seiner Aufnahme in den Zirkel gesehen hatte, waren mir seine Augen seltsam leer erschienen. Als wäre nichts von seinem ursprünglichen Selbst mehr übrig. Burl hatte seine Muskelkraft vernachlässigt und Fett angesetzt, seit er nur noch mit dem Kopf arbeitete und nicht mehr als Zimmermann sein Brot verdiente. Will war immer unscheinbar gewesen und hatte auch durch die Gabe nicht an Profil gewonnen. Trotzdem, sie verfügten alle bewiesenermaßen über die Fähigkeit, als Zirkel zu wirken. Konnte Veritas sie auf sich einschwören? Vielleicht. Aber wann? Wann hatte er Zeit für ein derartiges Unterfangen?
Jemand kommt.
Bäuchlings auf dem Bett liegend schrak ich inmitten der verstreuten Schriftrollen hoch. Hätte Nachtauge nicht mit Hilfe meiner eigenen Sinne über mich gewacht, wäre ich voll kommen ahnungslos gewesen. So beobachtete ich, wie die Tür sich langsam öffnete. Das Feuer war niedergebrannt, nur die glimmende Glut erhellte noch das Zimmer. Da ich nicht vor gehabt hatte einzuschlafen, war der Riegel noch nicht vorgeschoben. Ich verhielt mich mucksmäuschenstill und fragte mich, wer der ungebetene Besucher sein mochte, der mich hier zu über rumpeln hoffte. Oder war es jemand, der glaubte, das Zimmer verlassen vorzufinden, jemand, der es auf die Schriftrollen abgesehen hatte?
Meine Hand glitt zum Messer an meinem Gürtel und meine Muskeln spannten sich an. Währenddessen schlüpfte eine Gestalt herein und schloss leise die Tür hinter sich. Ich zog langsam das Messer.
Es ist dein
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