Fitz der Weitseher 2 - Der Schattenbote
sollte er sein und was er mir angetan hatte. Ich war im Besitz der Gabe gewesen, doch er hatte sie aus mir herausgebrannt und mir nichts gelassen als diesen Funken in der Asche.
Aber was war mit Serene? Was mit Justin und den anderen Mitgliedern des Zirkels? Weshalb bediente sich Veritas nicht ihrer Fähigkeiten, um mit Bocksburg verbunden zu bleiben und aus der Ferne seine Anweisungen zu geben?
Mich überkam eine schleichende Angst. Die Alarmvögel aus Bearns. Die Signalfeuer, die Gabenkundigen in den Türmen. Sämtliche Wege der Kommunikation, auf die wir vertrauten, schienen sich als unzulänglich zu erweisen. Sie waren es, die die Sechs Provinzen zu einer Einheit verknüpften und aus einer Allianz von Herzögen ein Königreich schufen. Warum erfüllten sie ihren Zweck nicht?
Ich sparte mir die Frage für Chade auf und hoffte, dass er mich bald wieder zu sich rufen würde. Die Tür zu seinen Gemächern öffnete sich seltener als früher, und ich hatte das Gefühl, dass ich nicht mehr sein uneingeschränktes Vertrauen genoss. Und? Hatte ich ihn nicht eben falls von einem großen Teil meines Lebens ausgeschlossen? Was ich fühlte, war vielleicht nur eine Reflexion all der Geheimnisse, die ich von ihm hatte. Oder die natürliche Distanz, die sich zwischen Meuchelmördern einstellte.
Ich bog um die Ecke, als Rosemarie es gerade aufgeben wollte, weiter an meine Zimmertür zu klopfen.
»Solltest du mir etwas ausrichten?«, fragte ich sie.
Die Kleine machte einen tiefen Knicks. »Ihre Hoheit, Kronprinzessin Kettricken bittet Euch, sie aufzusuchen, zum frühest möglichen Zeitpunkt, der Euch genehm ist.«
»Das wäre jetzt gleich, oder nicht?« Ich versuchte, ihr ein Lächeln zu entlocken.
»Nein.« Sie blickte mit gerunzelter Stirn zu mir auf. »Ich sagte ›zum frühest möglichen Zeitpunkt, der Euch genehm ist‹, Herr. War das nicht richtig?«
»Vollkommen richtig. Wer hat dir denn so ausgezeichnete Manieren beigebracht?«
Sie stieß einen abgrundtiefen Seufzer aus. »Fedwren.«
»Fedwren ist bereits von seiner Sommerwanderung zurückgekehrt?«
»Vor zwei Wochen schon, Herr.«
»Nun, da sieh einer an, was ich alles nicht weiß! Wenn ich ihn das nächste Mal spreche, werde ich lobend erwähnen, wie elegant du dich auszudrücken verstehst.«
»Ich danke Euch, Herr.« Dann vergaß sie doch ihr erwachsenes Benehmen, hüpfte zur Treppe, und ich hörte ihre leichten Schritte die Treppe hinuntertrippeln wie ausgestreute Murmeln. Ein liebenswertes Kind. Ich dachte mir, dass Fedwren sie als Botin ausbildete, was eine seiner Pflichten als Schreiber war. Ich trat kurz in mein Zimmer, um ein frisches Hemd überzuziehen, und begab mich dann hinunter zu Kettrickens Gemächern. Ich klopfte an, und Rosemarie machte mir auf.
»Jetzt ist es mir genehm«, sagte ich und wurde diesmal durch ein Lächeln mit den allerliebsten Grübchen in ihren Wangen Belohnt.
»Tretet ein, Herr. Ich werde meiner Herrin sagen, dass Ihr gekommen seid.« Sie wies auf einen Stuhl und verschwand im inneren Zimmer, aus dem das leise Gemurmel von Frauenstimmen drang. Durch die offene Tür konnte ich sie über ihre Handarbeiten gebeugt sitzen sehen. Königin Kettricken neigte den Kopf zu Rosemarie hinunter. Dann erhob sie sich und kam zu mir. Als sie vor mir stand, konnte ich erst den Blick nicht von ihr abwenden. Das Blau ihres Gewandes verstärkte noch das Blau ihrer Augen. Im Spätherbstlicht, das den Weg durch die Butzenscheiben fand, schimmerte ihr Haar tiefgolden. Als mir bewusst wurde, dass ich sie anstarrte wie ein Trottel, schlug ich sofort die Augen nieder, stand von dem Stuhl auf und verneigte mich. Sie wartete nicht, bis ich mich aufgerichtet hatte. »Hast du kürzlich dem König einen Besuch abgestattet?«, fragte sie mich ohne Einleitung.
»Nicht in den letzten Tagen, Hoheit.«
»Dann empfehle ich dir, heute Abend zu ihm zu gehen. Ich bin in Sorge um ihn.«
»Wie Ihr wünscht, Hoheit.« Ich wartete. Bestimmt hatte sie mich nicht deswegen rufen lassen.
Nach einem kurzen weiteren Augenblick seufzte sie. »Fitz, ich bin hier so einsam wie nie zuvor in meinem Leben. Kannst du mich nicht Kettricken nennen und mit mir reden, als wäre ich einfach nur ein Mensch?«
Dieses plötzliche Angebot der Vertraulichkeit brachte mich aus dem Gleichgewicht. »Gewiss«, antwortete ich, aber es klang nicht überzeugt.
Gefahr, raunte Nachtauge.
Gefahr? Wieso?
Sie ist nicht deine Gefährtin. Sie ist die Gefährtin des Rudelführers.
Als hätte
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