Fitz der Weitseher 2 - Der Schattenbote
ich mit der Zunge einen schmerzenden Zahn Berührt, so stechend durchzuckte mich die Erkenntnis. Hier drohte eine Gefahr, vor der man auf der Hut sein musste. Dies war meine Königin, aber ich war nicht Veritas, und sie war nicht meine Geliebte, auch wenn mein Herz bei ihrem Anblick noch so heftig schlug.
Aber sie war meine Freundin. Im Bergreich hatte sie es bewiesen. Ich schuldete ihr den Trost, auf den ein Freund ein An recht hat.
»Ich will dir erzählen, was geschehen ist, als ich den König aufgesucht habe.« Sie forderte mich auf, Platz zu nehmen, und setzte sich selbst auf einen Stuhl. Rosemarie holte ihren Schemel, um sich zu Kettrickens Füßen niederzulassen. Obwohl wir allein im Zimmer waren, sprach die Königin mit gedämpfter Stimme: »Ich fragte ihn ganz offen, wes halb ich nicht vom Eintreffen des Boten unterrichtet worden wäre. Meine Frage schien ihn zu verwirren, doch bevor er etwas sagen konnte, kam Edel herein. Ihm war anzusehen, dass er sich Beeilt hatte. Als wäre jemand mit der Neuigkeit zu ihm gelaufen, und er hätte alles stehen- und liegenlassen, damit ihm ja nichts entgeht.«
Ich nickte wissend.
»Er machte es mir unmöglich, mit dem König zu sprechen. In scheinbar bester Absicht begann er, mir alles zu erklären. Er behauptete, der Reiter wäre sofort in die Gemächer des Königs gebracht worden, und dort hätte er ihn angetroffen, als er seinen Vater aufsuchen wollte. Während der Bote dann nach unten ging, um sich auszuruhen, hätten er und der König die Lage besprochen und wären gemeinsam zu dem Schluss gekommen, dass nichts mehr unternommen werden könne. Dann hätte Listenreich ihn beauftragt, diesen Beschluss dem Boten und den versammelten Edlen mitzuteilen und sie gleichzeitig über den Zustand der Staatsfinanzen in Kenntnis zu setzen. Wenn man Edel Glauben schenken kann, stehen wir am Rand des Ruins und müssen jeden Heller zweimal umdrehen. Bearns müsse lernen, sich selbst zu helfen, meinte er, und als ich ihn fragte, seit wann Bearns nicht mehr zu den Sechs Provinzen gehöre, antwortete er mir, Bearns wäre immer mehr oder weniger eigenständig gewesen. Es wäre unvernünftig, sagte er, zu erwarten, dass wir von hier aus eine so weit nördlich von uns gelegene Küste beschützen könnten. Fitz, hast du gewusst, dass die Nahen Inseln bereits an die Korsaren gefallen sind?«
Ich sprang auf. »Das kann unmöglich wahr sein.«
»Edel behauptet es«, fuhr Kettricken ruhig fort. »Er sagt, vor seinem Aufbruch hätte Veritas noch geäußert, es bestünde kaum Hoffnung, sie gegen die Korsaren halten zu können. Das wäre der Grund, weshalb er die Constance zurückgerufen hätte. Er soll Carrod, dem Gabenkundigen an Bord, die Order übermittelt haben, zu Reparaturarbeiten den Heimathafen anzulaufen.«
»Das Schiff ist nach der Ernte erst überholt worden, dann erhielt es den Auftrag, die Küste zwischen der Seehundbucht und Skua zu patrouillieren und sich bereitzuhalten, falls die Nahen Inseln Gefahr signalisieren. Das entsprach dem Wunsch des Kapitäns - denn damit war mehr Zeit gewonnen, um die Besatzung unter winterlichen Bedingungen zu schulen. Veritas würde diesen Küstenstreifen niemals unbewacht lassen. Wenn die Korsaren sich auf den Nahen Inseln einen Stützpunkt schaffen, können wir uns ihrer erst recht nicht mehr erwehren. Von dort können sie sommers wie winters ihre Überfälle fortsetzen.«
»Edel sagt, das hätten sie bereits getan. Nach seiner Meinung besteht unsere einzige Hoffnung darin, mit ihnen zu verhandeln.« Ihre blauen Augen forschten in meinem Gesicht.
Wie betäubt sank ich langsam wieder auf meinen Stuhl. Konnte das wahr sein? Wes halb wusste ich nichts davon? Veritas’ Empfindungen in mir spiegelten meine Bestürzung wider. Auch er hatte von dieser Ungeheuerlichkeit nichts geahnt. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Kronprinz je mit den Korsaren verhandeln würde. Außer mit der Schärfe des Schwertes.«
»Dann hat man es nicht vor mir geheim gehalten, um mich nicht zu beunruhigen? Edel hat etwas Derartiges angedeutet, dass Veritas mir diese Dinge verschweigen würde, weil ich sie doch nicht verstehe.« Ihre Stimme bebte. Größer als ihr Zorn über den schmachvollen Verlust der Nahen Inseln war der ganz persönliche Schmerz, ihr Gemahl könnte sie seines Vertrauens für unwürdig befunden haben.
Ich sehnte mich so sehr da nach, sie in die Arme zu schließen, dass mir das Herz wehtat.
»Hoheit«, sagte ich heiser, »Ihr müsst mir
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