Fitz der Weitseher 2 - Der Schattenbote
ich fühlte ihren Blick. »Bin ich ein dermaßen unzulängliches OPFER, dass es hier Menschen gibt, die meinen Tod wünschen?«
Aus der Ferne erklang der Ton von Hörnern. Suchtrupps.
»Sie hätten sich auf jeden gestürzt, der des Wegs gekommen wäre«, antwortete ich. »Ihnen war nicht klar, dass sie ihre zukünftige Königin überfallen. Ich bezweifle sehr, dass sie überhaupt wussten, wer Ihr seid.« Ich widerstand der Versuchung, diesen Worten hinzuzufügen, dass Edel diesen mildernden Umstand nicht für sich in Anspruch nehmen könne. Selbst wenn man keine böse Absicht unterstellte, die Königin derart in Gefahr zu bringen, hatte er doch nichts getan, um es zu verhindern. Ich glaubte nicht daran, dass der pure Jagdeifer ihn dazu hingerissen hatte, in der Abenddämmerung über Stock und Stein einem Fuchs nachzusetzen. Er hatte gewollt, dass sie sich verirrte. Und sein Plan war aufgegangen.
»Ich glaube, mein Gemahl wird sehr zornig auf mich sein«, sagte sie kleinlaut wie ein Kind.
Als hätte sie es geahnt, umrundeten wir die Hügelflanke und sahen Reiter mit Fackeln auf uns zu kommen. Wenige Minuten später waren wir von ihnen umringt. Sie waren die Vorhut eines größeren Trupps, und sofort galoppierte ein Mädchen den Weg zurück, um dem Kronprinzen zu melden, dass seine Gemahlin gefunden sei. Die Soldaten erschraken und fluchten über das Blut, das im Licht der Fackeln noch an Federleichts Hals glänzte, doch Kettricken versicherte ihnen ruhig, es sei nicht ihres. Sie berichtete gefasst von dem Überfall der Entfremdeten und wie sie sich gegen sie verteidigt hatte. An den Gesichtern ringsum konnte ich wachsende Bewunderung für sie ablesen. Ich erfuhr erst jetzt durch ihren Bericht, dass der verwegenste der Angreifer von einem Baum auf sie herabgesprungen war. Ihn hatte sie als Ersten getötet.
»Vier abgemurkst, und sie hat dabei keinen einzigen Kratzer abgekriegt!«, begeisterte sich ein vernarbter Veteran und fügte eilig hinzu: »Bitte um Vergebung, Hoheit, es war nicht bös’ gemeint.«
»Es hätte auch anders ausgehen können, wäre nicht Fitz gekommen, um mir beizustehen«, erklärte Kettricken zum Schluss. Es trug ihr neben der Bewunderung auch noch Respekt ein, dass sie sich nicht in ihrer Großtat sonnte, sondern mir mein Recht zukommen ließ.
Man beglückwünschte sie überschwenglich und sprach zornig davon, am nächsten Tag die Wälder um Bocksburg von Gesindel zu säubern. »Es ist eine Schande für uns Soldaten, dass unsere eigene Königin nicht ohne Gefahr für Leib und Leben die Mauern der Burg verlassen kann!«, erklärte eine Frau. Sie legte die Hand an den Griff ihres Schwertes und gelobte, sie werde nicht ruhen, bis es das Blut Entfremdeter gekostet habe. Mehrere andere folgten ihrem Beispiel. Die Stimmung war lebhaft und hob noch weiter an. Die Aufregung und die Erleichterung darüber, die Königin unversehrt gefunden zu haben, berauschte die Leute wie durch Wein. Der Rückweg glich einem Triumphzug, bis Veritas eintraf. Er tauchte in gestrecktem Galopp aus dem Dunkel der Nacht auf, im Sattel eines erschöpften Pferdes, das schnell und weit hatte laufen müssen. Demnach dauerte die Suche schon geraume Zeit, und ich konnte nur raten, wie viele Meilen Veritas geritten war, seit ihn die Vermisstmeldung seiner Gemahlin aufgeschreckt hatte.
»Wie konntet Ihr so töricht sein, Euch von Eurem Gefolge zu entfernen!«, lautete seine vorwurfsvolle Begrüßung, und seine Stimme war alles andere als freundlich. Ich sah, wie sie den eben noch stolz erhobenen Kopf sinken ließ, und hörte das unwillige Murren des Soldaten neben mir. Vorbei war es mit der gelösten Stimmung. Zwar hielt er ihr keine Strafpredigt vor seinen Männern, doch ich sah, wie er sich mühsam beherrschte, während sie ihm ohne Beschönigungen erzählte, was sich zugetragen hatte, und dass sie gezwungen gewesen war zu töten, um sich zu retten. Er war nicht erfreut, dass sie vor aller Ohren von einer Bande Entfremdeter berichtete, die dreist genug waren, beinahe in Sichtweite der Mauern von Bocksburg die Königin zu überfallen. Was Veritas hatte geheim halten wollen, würde morgen Stadtgespräch sein, und dass die zukünftige Königin dabei im Mittelpunkt stand, war besonders pikant. Veritas warf mir einen vernichtenden Blick zu, als wäre ich an allem schuld. Dann ließ er sich von seiner Leibgarde zwei der frischesten Pferde zuführen und galoppierte mit Kettricken davon, als könnte er, wenn er sie nur schnell genug
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