Fix und forty: Roman (German Edition)
unsichtbare Kraft gefestigt und doch in steter Bewegung.
Manchmal frage ich meine Studenten und Studentinnen, ob sie glauben, dass ein Erwachsener über dreißig eine plötzliche ideologische Veränderung durchmachen kann. Ich sage ihnen, dass ich nicht auf Altersmilde oder Reife hinauswill, die sich allmählich einstellen. Ich meine auch keinen Bruch, der durch ein Trauma oder großen Kummer ausgelöst wird. Vielmehr interessiert es mich, ob sie eine tief gehende, bleibende Veränderung für möglich halten, die aus einem bewussten, absichtlichen Akt der Selbstbestimmung hervorgeht. Ich will wissen, ob sie denken, dass wir unsere tiefsten Überzeugungen ändern können. Die Art, wie wir denken.
Ja , sagen meine Studenten, auf jeden Fall! Natürlich können wir uns verändern! Und dann staune ich über die Hoffnung, die aus ihnen spricht. Meine Studenten tragen Optimismus so selbstverständlich in ihren Rucksäcken mit sich herum als würde es sich um leuchtende Flaschen Designer-Wasser handeln.
Kann ein Skeptiker je etwas anderes sein als ein Skeptiker? Kann ein Einzelgänger je ein Faible für Gruppendenken entwickeln? Der Gedanke war ernüchternd, dass Evas und mein Leben, so ähnlich in ihrem Potenzial und den zugrunde liegenden Interessen, derart unterschiedliche Wege genommen hatten, und dass der einzige Ort, an dem sie sich überschnitten, der befristete Raum der Kindheit war. Ich schloss die Augen und versuchte mir Eva in meiner Welt vorzustellen, Eva in einem sexy-seriösen Kleid bei einer Ausstellungseröffnung, Eva, die Nicks beißende Kommentare einfach weglachte, obwohl sie trafen und stachen wie eine Bremse. Das Bild war nicht stimmig. Eva bevorzugte bequeme Schuhe und Stofftaschentücher. Eva hätte Nicks Benehmen nie und nimmer geduldet. Eva, die ein Muster an geistiger Gesundheit, Selbstachtung und innerem Gleichgewicht war, hätte Nick im ersten Monat der Ehe gesagt: »Wenn du den Umgang mit deiner Krankheit nicht irgendwie änderst, dann ändere ich meinen Umgang mit unserer Beziehung.«
Andererseits hätte Eva sich sowieso nie in Nick verliebt. Sein destruktives Trübsalblasen, sein Zorn gegen Gott, sein kreatives Grübeln hatten mich irgendwie angezogen. Es waren Eigenschaften, die auch mich umkreisten, wie die Schattenmonde des Jupiter. Nicks dunkles Leid spiegelte meine eigenen ewigen Zweifel wider: mein Misstrauen gegenüber institutionalisierten Religionen, meine chronischen Skrupel, mein zynisches Schulterzucken, wenn Männer ihre Frauen wegen Kerlen sitzen ließen, die sie auf Gay.com kennengelernt hatten. Ich glaubte sowohl an das Böse als auch an das Gute im Menschen. Meine Eltern, die den Mythos des Garten Eden buchstäblich nahmen, glaubten, dass Gott uns geschaffen hat und dass wir anschließend in Ungnade gefallen sind. Ich glaubte, dass die Vertreibung aus dem Paradies eine Metapher dafür war, wie wir unweigerlich hinter unserem Potenzial zurückbleiben. Und wenn wir erschaffen wurden, hatten wir nicht auch Gott erschaffen?
Meine Mutter und ich verbrachten einen Tag mit den Mennonite Senior Professionals, einer Gruppe pensionierter Akademiker, Pfarrer und anderer gebildeter Rentner. Sie trafen sich zweimal im Monat, um sich mehr oder weniger weiterzubilden. Diesmal konnte mein Vater nicht teilnehmen, und meine Mutter hatte gefragt, ob ich sie stattdessen begleiten wollte. Die Veranstaltung dauerte den ganzen Tag. Wir würden verschiedene örtliche Bauernhöfe besuchen und dort mehr über die agrarische Vergangenheit der Mennoniten erfahren. Manche der Teilnehmer waren ehemalige College-Dozenten von mir, die ich teils als sehr konservativ in Erinnerung hatte. Ich wählte für diesen Anlass eine schlichte braune Hose, Diesel -Turnschuhe und eine hochgeschlossene Bluse.
»Heute Abend soll es abkühlen, deshalb verstehe ich, warum du keine Shorts tragen willst«, sagte meine Mutter. »Aber du hast nicht einmal gestern beim Grillen welche getragen. Staci und Deena hatten Shorts an.«
»Mom, ich bin vierundvierzig Jahre alt! Es kommt eine Zeit im Leben, wo man einfach keine Shorts mehr anzieht.«
»Ich bin siebzig, und ich ziehe im Garten immer Shorts an.«
»Es kommt eine Zeit, und dann geht sie wieder, und dann kommt sie wieder«, korrigierte ich mich höflich. »Aber ich habe diese dritte Phase noch nicht erreicht.«
»Du hast schöne, gesunde Beine.«
»Jetzt nicht mehr«, sagte ich fest. »Die Leute haben keine Lust, sich meine Narben anzusehen.«
»So ein Quatsch«,
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