Fix und forty: Roman (German Edition)
von sich. Diese Kommentare formten Teil einer themenbezogenen Meta-Erzählung. »Ich sehe Schafe«, verkündete er. Oder: »Das ist ein ganz schöner Otto von einem Winnebago.« Ich persönlich wusste nie so recht, wie ich auf seine Kommentare reagieren sollte, da sie scheinbar zum Dialog einluden, doch jegliche Vertiefung ausschlossen. Meine Mutter dagegen beherrschte nach fünfundvierzig Jahren Ehe die Kunst, auf die kryptischen Offerten meines Vaters zu antworten. Sie schenkte ihm stets ihre volle Aufmerksamkeit, selbst wenn er sie gerade bei einem Kreuzworträtsel oder Sudoku unterbrach. Auf »Ich sehe Schafe« hob sie zum Beispiel den Kopf und gab fröhlich zurück: »Schäfchen zur Linken, das Glück tut dir winken!« Auf »Das ist ein ganz schöner Otto von einem Winnebago« antwortete sie womöglich: »Was für ein Luftverpester!«
Unsere Angebote, ihn am Steuer abzulösen, lehnte mein Vater immer ab. Andere Fahrer machten ihn nervös, vor allem meine Mutter. Was eine gewisse Berechtigung hatte. Wenn ich allein mit meiner Mutter unterwegs war, saß ich auch lieber selbst am Steuer, und ich bin weiß Gott keine tolle Fahrerin. Aber immer noch besser als sie. Glücklicherweise liegt ihr nicht viel daran, selbst zu fahren. Einige Wochen vor unserer Reise nach Bend machten wir einen dreitägigen Ausflug nach Arizona, um eine ihrer Freundinnen aus dem Bibelkolleg zu besuchen, die sich gerade bei ihrer Tochter Frieda in Flagstaff aufhielt. Sie gehörten zum mennonitischen Freundeskreis, und so kannte ich sie natürlich auch. Frieda kannte ich sogar noch aus meiner Zeit als Bibelschülerin, weil ich damals mit ihrem älteren Bruder ausgegangen war. (Nur am Rande: Reinhold und ich waren ein Jahr zusammen, ohne dass wir je herausfanden, wie ein Zungenkuss funktioniert. Nicht dass wir schlecht im Küssen waren oder uns nicht trauten; wir taten es nicht, weil wir noch nie etwas davon gehört hatten.)
Ich war überrascht, als ich hörte, dass Reinholds liebenswerte kleine Schwester Frieda inzwischen am Rande von Flagstaff in der Wüste wohnte. »Gibt es dort eine größere Mennonitengemeinde?«, fragte ich.
»Nein«, sagte mein Vater. Über die Aufenthaltsorte von Mennoniten unterhielt er sich immer gern. »Frieda musste aus gesundheitlichen Gründen in ein warmes, trockenes Klima übersiedeln.«
Meine Mutter schaltete sich ein. »Allergien, Si. Und chronisches Erschöpfungssyndrom.«
»Ohhhh«, sagte ich wissend. Ich nahm an, dass chronisches Erschöpfungssyndrom der Euphemismus für eine ernsthafte Depression war, und fragte mich, ob Frieda vielleicht einfach das Bedürfnis gehabt hatte, den Mennoniten für eine Weile den Rücken zu kehren. Ich kannte dieses Gefühl nur zu gut.
»Nein, sie ist wirklich krank«, entgegnete meine Mutter. »Sie wäre fast gestorben.«
»Wenn das so ist, bin ich froh, dass der Klimawechsel geholfen hat«, sagte ich. »Er hat doch geholfen, oder?«
»Ja«, antwortete mein Vater nüchtern. »Frieda lebt in einer kleinen Eigentumswohnung eine halbe Stunde von der Stadt entfernt.«
»Ganz allein?«
»Da ist ein Bursche, ein Freund, der sie ab und zu besucht«, sagte mein Vater mit seiner besten Predigerstimme. Dann erklärte er: »Man kommt sich nahe, da draußen in der Wüste.«
Auf dem Weg nach Arizona tauschten Mom und ich Erinnerungen an die Autoreisen aus, die wir in meiner Kindheit unternommen hatten. Ich kann nicht für meine Brüder sprechen, aber Hannah und mir hatte es immer vor diesen Fahrten gegraut, hauptsächlich wegen der Inflexibilität meines Vaters und der kurzfristigen Aufhebung aller artgerechten Annehmlichkeiten. Heute fällt es mir schwer zu glauben, dass mein Vater freiwillig mit uns zelten ging, da er schrecklich darunter gelitten haben muss. Diese Urlaube waren gemächlich, aber gehetzt; ziellos, und doch durchgeplant. Jeden Tag zwang uns mein Vater, um sechs Uhr früh aufzubrechen, nicht etwa, um eine lange Strecke zurückzulegen, sondern um in der angenehmen Kühle des Morgens fahren zu können.
Vermutlich war das, was ihn mit dem Zelten versöhnte, die Kostenfrage. Bis heute weiß ich nicht, ob wir uns keine richtigen Ferien leisten konnten oder ob der günstigere Zelturlaub eine Frage des Prinzips war. Doch was auch immer der Grund war, das Ergebnis blieb das gleiche: eine sechsköpfige Familie, zwei Kühlboxen mit Proviant, ein uralter Campingkocher und ein kleiner Eimer, auf dem die Karte der Vereinigten Staaten zu sehen war – damit wir unterwegs
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