Fix und forty: Roman (German Edition)
Arbeit schlechter geworden?«
»Nein. Nur dass – ich habe mich gefragt, ob – ich meine, sind Sie sicher, dass alles in Ordnung ist – zu Hause?«
Tränen schossen mir in die Augen, doch ich blinzelte sie sofort weg. Ich sagte Lavinia, dass alles in Ordnung sei, und sie nickte anerkennend und verschwand den langen Flur hinunter, dessen Türen ich nie geöffnet hatte.
An diesem Punkt werden Sie verständlicherweise ausrufen: »Warum sind Sie nicht einfach abgehauen, Sie Knalltüte?« Das ist die erste Frage, die sich jedem einigermaßen ausgeglichenen Menschen aufdrängt, wenn über Frauen in Missbrauchsbeziehungen gesprochen wird. Warum ist sie nicht einfach gegangen? Es gehören immer zwei dazu, meine liebe Freundin! Ein Kerl, der austeilt, und ein dummes Huhn, das einsteckt! Ich weiß nicht, wie andere Überlebende von Missbrauchsbeziehungen diese Frage beantworten, aber antworten müssen sie, und sei es nur sich selbst. Meine Antwort lautet abgrundtiefe Naivität, die ein geradezu lächerliches Maß an Einfalt und Unterbelichtung erkennen lässt. Ich bin damals nicht gegangen, weil ich gar nicht erst auf die Idee gekommen bin.
Die einzige Ehe, die ich je persönlich und aus nächster Nähe erlebt hatte, war die meiner Eltern. Sie stritten und diskutierten nicht – oder wenn, dann nicht vor ihren Kindern. Heute weiß ich, dass es mehr als eine Gelegenheit gegeben hatte, da meine Mutter meinen Vater beinahe verlassen hätte, aber in meiner Kindheit war die Vorstellung von Scheidung für uns genauso außerirdisch wie Rock ’n’ Roll zu hören oder in Restaurants zu essen. Es war etwas, das nur bei anderen Leuten vorkam.
Nicht lange nach Lavinias diskreter Nachfrage brach ich zusammen und rief meine Schwester an. Nick hatte getrunken und gedroht, erst mich und dann sich selbst umzubringen. Er wirkte immer irgendwie überrascht, dass ich nicht Feuer und Flamme für solche Vorschläge war. Damals hatte er nie Hand an mich gelegt, und ich hatte auch nie Angst gehabt, dass er es tun könnte. Einmal, Jahre später, hielt er in L.A. am Straßenrand an und stieß mich mit Gewalt aus dem Wagen, und ein anderes Mal musste ich seinetwegen die Polizei rufen, allerdings nicht aus Angst, dass er mir etwas antun könnte. Trotzdem, ich war zutiefst erschüttert von seiner leichtsinnigen Fahrweise und dem Zyklon von zerbrochenem Mobiliar in unserer winzigen gemieteten Remise. Inzwischen zerstörte er nicht mehr nur Einzelteile wie ein Fenster oder einen Ventilator; jetzt nahm er ganze Zimmer auseinander, komplette Geschirr-Sets.
Am Abend, bevor ich Hannah anrief, hatte ich eine Autopanne in einer ziemlich miesen Gegend gehabt. Ich hatte den ganzen Vormittag unterrichtet und den ganzen Nachmittag in der Kanzlei gearbeitet. Nachdem ich auf dem Heimweg angehalten hatte, um Lebensmittel einzukaufen, sprang mein Wagen nicht mehr an, und zu allem Überfluss grölten mir ein paar Typen mit Schnaps in Papiertüten zu. Ich hatte keine Abschleppversicherung, und ein Handy konnten wir uns nicht leisten. Als ich es endlich schaffte, in der Nähe eines zwielichtigen Kiosks eine funktionierende Telefonzelle zu finden, weigerte sich Nick, mich abzuholen.
»Dein Problem«, sagte er kurz angebunden.
»Aber hier sind ein paar echt eklige Typen, die Whiskey aus Tüten trinken –«
»Dann lass dir doch von denen helfen.«
»Verdammt noch mal, Nick. Wir wissen beide, dass du kommst und mich abholst.«
»Hör gut zu«, sagte er langsam, als wäre ich schwer von Begriff. »Es. Ist. Mir. Völlig. Egal. Was. Mit. Dir. Passiert.«
Irgendwann kam er doch, aber der letzte Satz hatte sich bei mir eingeprägt. Er hatte sich eingeprägt, weil er der Wahrheit entsprach.
Am nächsten Morgen trank ich mutwillig eine Tasse starken Kaffee nach der anderen, um mich zu wappnen, während ich darauf wartete, dass es endlich elf Uhr schlug, denn dann wäre es in Sacramento, wo Hannah und Phil damals lebten, neun Uhr. Aus heutiger Sicht finde ich es eigenartig, dass ich trotz des ganzen Ehedramas nie auf die Idee gekommen wäre, meine Schwester vor neun Uhr rauszuklingeln. Es war, als hätte ich die unerbittlich strenge Etikette der Kanzlei vollkommen verinnerlicht.
Hannah stellte mir ein paar nüchterne Fragen. Sie zeigte keine wie auch immer geartete Überraschung über die Gleichgültigkeit oder das Fehlverhalten meines Mannes, obwohl es das erste Mal war, dass sie davon hörte, ohne dass ich es in eine amüsante Anekdote verpackte.
»Also gut«,
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