Fix und forty: Roman (German Edition)
retten, als ich am absoluten Tiefpunkt war, dem tiefsten, den ich bislang erlebt habe – noch tiefer als die Midlife-Hölle, in der ich mich momentan befand. Heute, mit dreiundvierzig, war der Verlust eines Ehemanns an einen Kerl namens Bob in Kombination mit den katastrophalen Begleitumständen alles in allem erträglich. Doch damals, 1996, war ich am Ende und wusste nicht wohin.
Ich hatte mein Doktorandenstudium für ein Jahr unterbrochen, weil Nick einen Platz in einem Graduiertenkolleg für Politikwissenschaft an der University of Chicago bekommen hatte. Wir waren von Los Angeles nach Chicago gezogen, wo ich eine halbe Stelle als Lehrerin an einem Musikkonservatorium und eine ganze Stelle als Empfangsdame bei der konservativen Anwaltskanzlei Skadden, Arps, Slate, Meagher & Flom annahm.
Nick, der einen Masterabschluss in klinischer Psychologie hat, war in einer Phase, in der er die Einnahme der Medikamente für seine bipolare Störung kategorisch ablehnte. »Mit mir ist alles in Ordnung«, sagte er verächtlich. »Bipolarität ist ein natürlicher Zustand, keine Krankheit. Warum sollte ich Medikamente gegen einen Zustand nehmen, in dem ich klüger, kreativer und aufmerksamer bin? Wenn dir meine Launen nicht passen, kannst du ja Medikamente nehmen.«
»Krebs ist auch ein natürlicher Zustand«, wandte ich ein, »und die Leute haben kein Problem damit, Medikamente dagegen zu nehmen.«
»Das hätten sie aber, wenn Krebs ein negatives Stigma anhaften würde. Sie hätten ein großes Problem damit, wenn die Medikamente, die sie nehmen, ihren Status als mündige, funktionierende Bürger infrage stellen würden. Ich sag dir was: Ich nehme erst dann wieder Medikamente gegen meine Bipolarität, wenn der Rest der Welt anfängt, Medikamente gegen seine Dummheit zu nehmen«, erklärte er. Und damit war der Fall für ihn erledigt.
Dumm ist Nick nicht. Er ist zugegebenermaßen einer der intelligentesten Männer, denen ich je begegnet bin. Und als junge Erwachsene war mir intelligent sehr viel wichtiger als nett. Selbst schuld. Jeder intellektuelle Stepptanz beeindruckte mich zutiefst. Besonders anfällig war ich für akademische Leistungen, die in den steilen Weg zum Vorzeige-Wissenschaftler lächerlich überinvestiert waren. Es gab eine Zeit in meinem Leben – leider ist sie nicht allzu lange her –, als geistige Flinkheit mir wichtiger erschien als Güte.
In den ersten Monaten in Chicago schrieb Nick brillante elliptische Aufsätze, die ich für ihn nachbearbeitete, damit sie sich von Normalsterblichen verständlich lesen ließen. Manchmal war Nicks Schreibe allerdings so undurchdringlich, dass ich ihn bitten musste, mir zu erklären, was er meinte, woraufhin er sich in zornigen diskursiven Tiraden erging und wütend mit Zitaten von Durkheim, Nietzsche, Foucault, Gramsci und Hegel um sich warf. Als kulturwissenschaftliche Doktorandin hatte auch ich viele der großen Namen des westlichen Kanons gelesen, aber Nick beschäftigte sich mit Theorien und Philosophien, die ich nur aus Fußnoten kannte. Man könnte meinen, dass ein Mann, den der unaufhörliche Ansturm von Ideen quälte, Zuflucht im universitären Elfenbeinturm suchen würde, wo freidenkerische Einzelgänger seit jeher einen sicheren Hafen fanden. Doch seltsamerweise hatte Nick nichts als Verachtung für die akademische Welt übrig, vielleicht, weil er im Gegensatz zu vielen anderen Akademikern nie Probleme hatte, auf Menschen zuzugehen. Er hielt Geisteswissenschaftler im Allgemeinen für mittelmäßige Denker mit eingeschränkten sozialen Kompetenzen und einem übertriebenen Bedürfnis nach äußerer Anerkennung. (Fürwahr, ich kann ein Lied davon singen!)
Zu jenem Zeitpunkt waren wir seit fünf Jahren verheiratet. Bisher waren Nicks Stimmungsschwankungen schwierig, aber zu bewältigen gewesen und ohne ernste Folgen geblieben. Doch diesmal war es anders. Gefangen in einer manischen Phase begann Nick seine Seminare zu schwänzen, trotz des ausgezeichneten Feedbacks, das er für seine akademische Arbeit erhielt. Statt zu studieren, ging er shoppen.
Chicago, verehrte Leserinnen und Leser, ist genau der richtige Ort, wenn Sie über ein ausgeprägtes Stilgefühl verfügen (so wie Los Angeles genau der richtige Ort ist, wenn Sie den Stil anderer kopieren möchten). Nick, stilsicher bis in die Fußspitzen, sah keinerlei Widerspruch zwischen seiner Konsumfreude und meinen Kreditkarten.
Eines Tages kam er mit einem Paar Handschuhe der Marke Yohji Yamamoto nach
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