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Fix und forty: Roman (German Edition)

Fix und forty: Roman (German Edition)

Titel: Fix und forty: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rhoda Janzen
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nichts von mir erwartet wurde. Nichts tun, keine Aufmerksamkeit erregen, eine Art anmutige Unsichtbarkeit erreichen waren die Hauptaufgaben in meiner Position. »Ihre Vorgängerin«, sagte Lavinia, die Dame, die das Einstellungsgespräch mit mir führte, »hat sich manchmal am Empfangstisch die Nägel lackiert «, sie klopfte mit der flachen Hand auf den herrlichen Mahagonitisch, an dem ich sitzen würde, »Ms. Janzen, ich gehe davon aus, dass Sie der Versuchung widerstehen können, sich an diesem Tisch die Nägel zu lackieren?«
    »Ja, das kann ich.«
    »Ms. Janzen, Ihr Gesicht wird das erste sein, das unsere Mandanten bei uns sehen. Glauben Sie, dass Sie in der Lage sind, dieser Firma durchgehend ein angemessenes Image zu verleihen?«
    »Ja, das glaube ich.«
    »Wir kontaktieren sie in achtundvierzig bis zweiundsiebzig Stunden.«
    Nach achtundvierzig bis zweiundsiebzig Stunden begann mein Gastspiel bei Skadden, Arps, Slate, Meagher & Flom. Ich lächelte dezent, hauchte sanft Guten Tag, trug Perlen und steckte mir das Haar zu einem seriösen Chignon zusammen. Zwölf Stunden lang saß ich an meinem schönen Schreibtisch in einem Wolkenkratzer am Wacker Drive in einem Empfangsbereich, der in seiner Formalität angenehm spartanisch war. Selbst die Topfpflanzen wuchsen kerzengerade, sauber und ordentlich. Der Teppich war dick wie Biskuit, sodass ich die gedämpften Schritte der Anwälte und ihrer Mandanten, die mit angemessener Diskretion kamen und gingen, kaum hörte. Einundzwanzig Stockwerke unter mir lag der Fluss wie ein eisiges Band am Boden. Von meinem Fenster aus sah ich nur den grauen Himmel und die Dächer anderer Hochhäuser. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass mein Headset das Einzige war, was mich noch mit der Welt verband – dass ich mich ohne sein dünnes Kabel einfach in all das Grau erheben und davonschweben würde.
    Als niedere Angestellte hätte ich wahrscheinlich nie wieder das Augenmerk meiner Chefin erregt, doch Lavinia kam dahinter, dass ich in Philologie promovierte, ein Faible für Grammatik hatte und die Streitfragen zum Sprachgebrauch, die manchmal im Zimmer der Korrektoren entflammten, zuverlässig lösen konnte. Später war sie mir sogar noch herzlicher zugetan, nachdem sie herausfand, dass ich außerdem verschiedene europäische Sprachen gelernt hatte und internationale Anrufer betreuen konnte. Eines Tages fragte sie mich, ob es irgendetwas gebe, womit sie mir die Arbeit leichter machen könne. Noch leichter! Ich bat sie um ein Maschinenschreibprogramm auf meinem Computer. Am nächsten Tag war es installiert, und nach ein paar Wochen haute ich in die Tasten wie ein Profi. Ein Tipp zum Verdrängen von Problemen: Wenn Sie mal nicht über Ihr eigenes Leben nachdenken wollen, kann es durchaus hilfreich sein, dreihundert Mal hintereinander den gleichen Satz zu tippen, mit wachsendem, ratterndem Tempo.
    Während Nick in den Wahnsinn abdriftete, fiel ich in eine Art Gefrierstarre. Wenn ich nicht an meinem Platz in der kalten, eleganten Kanzlei saß, sehnte ich mich danach, ebendort zu sein – im Zug, beim Unterrichten oder wenn ich vor dem Treppenaufgang zu Nicks und meiner Remise stand. Jedes Mal hielt ich vor den Stufen inne, um tief Luft zu holen und mich für das zu wappnen, was mich drinnen erwartete. Die Kanzlei war meine Sicherheitszone, mein kostbares Niemandsland. Allmählich wurden meine Kleider immer dunkler. Ich trug Dunkelblau zu Dunkelblau. Der Chignon wurde straffer. Ich fing an, Haarspray zu benutzen und das Kneifen und Ziepen von Haarnadeln zu mögen. Morgens in der Dämmerung und abends lange nach der Rushhour glitt ich wie ein Schatten in das Hochhaus hinein und wieder heraus, gebunden, und doch in freier Schwebe, die Erscheinung von etwas, das einmal war, wie der Geist der vergangenen Weihnacht.
    Einmal wachte ich aus meiner wattigen Trance auf und bemerkte, dass Lavinia mich beobachte. Ihr Haar war genauso straff zurückgesteckt wie meins, und ihr dunkles Kostüm ließ sie abweisend wirken. Sie sah von Kopf bis Fuß aus wie eine Präsidentin. Und doch schien sie einen Moment zu zögern, bevor sie auf leisen Absätzen den hochflorigen Teppich überquerte. Sie beugte sich ganz leicht über meinen Tisch und fragte leise: »Geht es Ihnen gut?«
    Ah, diese Worte hatte ich schon einmal gehört. Ich hatte befürchtet, dass mein Kummer sich in meine Gesichtszüge gegraben hatte, die mir zunehmend verhärmter und strenger vorkamen, wie das alte Leder eines Reisekoffers. »Ist meine

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