Fix und forty: Roman (German Edition)
Alten Marmelade. Beide boten überlasteten jungen Müttern kostenlos ihre Babysitterdienste an. Beide verfügten über medizinische Kenntnisse und standen mit Rat und Tat zur Seite. Beide liefen mit einem Schultertuch und einem Wagenradhut herum, jedenfalls freitagmorgens, wenn meine Mutter ehrenamtlich Besucher durch das Meux-Home-Museum führte. Beide nähten und sangen und dienten dem Herrn. Vielleicht entfleuchten der prüden, Korsett tragenden Marmee keine urknallartigen Leibwinde, die selbst einen Blindenhund versteinern ließen, doch in vielerlei Hinsicht waren sie und meine Mutter in ihrer Tugendhaftigkeit ebenbürtig.
Tugendhaftigkeit lässt sich bereits an der Art messen, wie jemand mit Enttäuschungen umgeht. Ich bin mir ganz sicher, dass meine Mutter sich wünscht – ja sogar dafür betet! –, ich würde eine geistige Heimat in einer Kirche finden, selbst wenn es nicht die mennonitische ist. Ich glaube, sogar eine charismatische, wunderheilende Gospel-Kirche wäre ihr lieber als keine. Doch wie Marmee March hat sie immer zu ihren Töchtern gehalten, uns unterstützt und uns mit offenen Armen empfangen, ganz gleich, welche Entscheidungen wir im Leben getroffen haben. Und Hannah und ich haben so einige merkwürdige Entscheidungen getroffen. Diese unerschütterliche Akzeptanz meiner Mutter scheint aus einem vergangenen Jahrhundert zu stammen, oder zumindest aus den Heiligengeschichten desselben.
Doch was ist Tugend im einundzwanzigsten Jahrhundert? Ich fragte mich, ob Tugend – genauso wie Jungfräulichkeit – als Konzept längst ausgedient hatte. Jungfräulichkeit ist in der westlichen Welt so überholt wie Butterfässer und Schmalzbrote. Das heißt, Jungfräulichkeit existiert zwar nach wie vor als technischer Begriff für die Tatsache, dass jemand noch nie Geschlechtsverkehr hatte. Doch die alte Definition von Jungfrau als reines junges Mädchen, das vom Wissen um Sexualität unbefleckt ist, trifft nicht mehr zu. Heutzutage wissen auch nicht sexuell aktive Menschen um Sexualität. Jungfräulichkeit ist also ein ganz anderes Ding geworden. Mit der Tugend verhält es sich wohl ähnlich. Würden wir mit unserem heutigen Wissen über das Wesen des Menschen überhaupt in jene Zeiten zurückkehren wollen, als wir dachten, Moral wäre einfach? Als das Gute etwas war, das wir von Marmee March lernen konnten?
Denken Sie nur einmal daran, wie unmöglich es ist, die Rolle der tugendhaft tüchtigen Frau zu erfüllen, wenn berufliche Pflichten es schlichtweg nicht zulassen, dass wir alten Menschen selbst gemachte Marmelade vorbeibringen. Bedenken Sie, was passiert, wenn Forschung und Lehre viele der Annahmen organisierter Religionen als intellektuell unhaltbar bloßstellen. Der Glaube an richtige Engel zum Beispiel ist etwas, das ich nicht bereit bin zu unterstützen. Und doch kann ich die herzliche Wärme nicht leugnen, die meine Mutter ausstrahlt – die all diese Mennoniten ausstrahlen. Es ist offensichtlich, dass diese Mennoniten-Gemeinde wahrhaftig ist. Ihre Mitglieder versuchen wirklich zu leben, was sie predigen.
Viele Jahre sind vergangen, seit ich mich von der Mennoniten-Kirche distanziert habe. Ich habe einen Lebensstil gewählt, der für diese konservative Gemeinde in vielerlei Hinsicht haarsträubend ist. Wenn die Mennoniten schon ein Problem mit Mrs. Ollenburgers Fettabsaugen hatten, stellen Sie sich vor, was sie dazu gesagt hätten, dass ich einen Atheisten geheiratet habe! Und vor meiner rebellischen Ehe war da noch mein schockierender Beschluss mit Anfang zwanzig, mich von jeglicher körperlichen Scham zu befreien, was im Klartext bedeutete, dass ich in nietenbesetzten schwarzen Miniröcken, mit hochtoupierter Mähne, neonpinkem Lippenstift und unerhört hohen Manolo Blahniks herumlief. Einmal trug ich genau diese Kombination, um am Mennoniten-College einen Preis entgegenzunehmen. Damals war das für mich eine wichtige Geste.
Als ich eine junge Frau war, löste die Vorstellung einer weiblichen Pastorin bei den Mennoniten Angst und Schrecken aus, und noch heute kenne ich einen mennonitischen College-Direktor, der kürzlich »überredet« werden musste, eine weibliche Theologin in seinen Lehrkörper aufzunehmen. Zwar gab es Leute wie meinen Vater, die glaubten, die Kirche würde mit der Zeit gehen. Doch meiner Meinung nach hinkte die Mennoniten-Kirche schon gut fünfzig Jahre hinter der Bürgerrechtsbewegung her, und ich hatte keine Lust zu warten. Außerdem konnte ich die Position der
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