Flagge im Sturm
genau, ob er nun das Böse oder das Gute in ihr hervorbrachte, doch Spaß machte es allemal.
„Dieser Kerl beabsichtigte mich zu betrügen, und das wollte ich nicht zulassen. Allerdings habe ich getreulich das getan, was Ihr von mir verlangtet: Ich habe zu keiner Zeit die Unwahrheit gesagt.“
Jonathan bekam einen ausgewachsenen Lachanfall. „Nein, das habt Ihr nicht. Und Ihr seid die Königin von England.“
Noch immer lachend stiegen Jonathan und Demaris Arm in Arm den schmalen Pfad vom Strand zum Haus auf Nantasket hinan. Es war schon sehr spät, die Mitternacht war längst vorüber, nur das Rauschen der Wellen und die leisen Stimmen der Nachtvögel im hohen Gras und in den Büschen waren zu hören.
„Ich möchte zu gern dabei sein, wenn einer von Collins“ Stammkunden den ersten Schluck von diesem Madeira nimmt“, sagte Jonathan zum wiederholten Mal, während Demaris Feuer im Küchenherd machte.
Wegen der beiden Steinwände war es im Haus immer kalt, auch jetzt im Mai noch, doch seltsamerweise merkte sie das heute nicht. Erst fing der Zunder Feuer, dann das Brenn-holz und schließlich ein Scheit. Langsam erhob sie sich und wandte sich Jonathan zu.
Er stand neben der offenen Tür und strich mit den Fingern über die Krempe des Huts in seinen Händen. Das Vergnügen auf Samuels Kosten hatte sich irgendwie aufgelöst, und Jonathans Gesichtsausdruck war jetzt ernst, beinahe streng. Im Licht des noch schwachen Feuers erschienen seine Augen pechschwarz. Leise schloss er die Tür und lehnte seinen Gehstock dagegen.
Nach einem Tag und zwei Nächten auf einem offenen Schiff zeigte sein Gesicht die Spuren der Sonne und der Müdigkeit. Seine Kleidung war beschmutzt und salzfleckig, und der Hut hatte das Haar plattgedrückt, doch in Demaris’Augen war Jonathan noch nie schöner gewesen, denn er hatte ja die ganze Zeit mit ihr zusammen verbracht. Falls sie ihn jetzt küsste, würden dann seine Lippen auch salzig schmecken?
„Ist es nicht ein wenig spät zum Feuermachen?“, fragte er.
„Ich dachte, Ihr möchtet vielleicht noch etwas essen.“ Sie ging zu dem breiten Tisch, als wollte sie damit beginnen, ein Mahl zuzubereiten, blieb dann jedoch stehen. Sie kehrte Jonathan den Rücken zu und stützte die Hände auf die Tischplatte. „Wenn ich Euch jetzt ein Mahl zubereite, kann ich doch diese Nacht noch ein wenig ausdehnen, nicht wahr?“
Er wollte sie berühren. Er wollte sie umarmen und lieben und sie zu der Seinen machen ohne Rücksicht auf die Folgen. „Wenn diese Nacht nicht endet“, sagte er mit leiser, etwas belegter Stimme, „dann gibt es auch kein Morgen.“
„Ich bin mir gar nicht so sicher, ob es überhaupt ein Morgen gibt“, entgegnete sie sanft. Sie fühlte, wie Jonathan ihr den schweren Zopf vom Rücken hob, die Schleife aufband und dann die Flechten löste. „In der letzten Zeit bin ich mir in vielen Dingen nicht mehr sehr sicher. “ Sie ließ den Kopf nach hinten sinken und schloss die Augen.
Er fasste ihr Haar zusammen und schob es ihr aus dem Nacken, griff um sie herum und band ihren Umhang auf. Der schwere Wollstoff glitt zu Boden. Als Nächstes zog Jonathan ihr das Schultertuch herunter.
Mit den Lippen strich er an ihrem nun unbedeckten Hals entlang zu ihrer Schulter, bis er an die kleine Stelle oberhalb des Ausschnitts gelangte, welche die vom Wasser reflektierte Sonne ein wenig verbrannt hatte. Sanft küsste er den geröteten Fleck. Das hatte er schon während des ganzen Tages tun wollen. Er hörte sie leise stöhnen, als sie seine Zunge an der gereizten Haut fühlte.
„Ihr habt mich in Providence überrascht, Demaris“, flüsterte er. „Werdet Ihr mich jetzt wieder überraschen?“ Unvermittelt drehte sie sich zu ihm um, drückte sich an seine Brust und stützte sich mit den Händen hinter sich auf der Tischkante ab.
„Das kann ich Euch nicht sagen, Jonathan“, antwortete sie mit einer Stimme, die ihr selbst ganz fremd war. „Ich glaube, Ihr müsst bleiben und das selbst herausfinden.“
10. Kapitel
Ihr sprecht, als wäre es mir gegeben, zu entscheiden, ob ich gehe oder bleibe, Demaris“, flüsterte er verblüfft.
Sie senkte den Kopf und betrachtete Jonathan durch ihre Wimpern hindurch. Das lose honigfarbene Haar umrahmte ihr Gesicht. Die über ihrem Halsausschnitt sichtbare Kante des Unterkleids war nur eine Spur heller als ihre Haut. Demaris’ vollkommene Arglosigkeit war für ihn etwas ungemein Verführerisches.
„Es gibt keinen Willen auf dieser und allen
Weitere Kostenlose Bücher