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Flagge im Sturm

Titel: Flagge im Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirinda Jarrett
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der Kapitän war.
    Und es war nicht nur das. Tom hatte ihm erzählt, dass sich die wenigen Überlebenden von der alten Mannschaft der „Leopard“ der Crew der „Tiger“ angeschlossen hatten, doch nachdem er von der Nachtwache recht missmutig in Empfang genommen worden war, erkannte er, dass er gut daran täte, niemandem hier zu lange den Rücken zuzuwenden. So vertraut ihm diese Schaluppe auch war, noch war er nicht wieder daheim.
    Trotz der späten Stunde wurde Jonathan in die Kajüte des Kapitäns geführt. Der Matrose klopfte unterwürfig an und wartete nur so lange, bis das Fluchen von der anderen Türseite her begann. Dann floh er und überließ es Jonathan, die Kajütstür selbst zu öffnen.
    „Was in aller Teufel Namen willst du, du blöder Ochse?“, brüllte Graham und drehte sich in seinem Sessel herum, um den Ankömmling anzustarren.
    Er war älter, als Jonathan es vermutet hatte, Grau durchzog einen dunkelroten Bart. Obwohl er sein Haar lang und ungebunden trug, verdeckte es nicht ganz die wulstige Narbe, die von seinem offenbar schon vor langer Zeit abgeschnittenen Ohr übrig geblieben war.
    Jonathan schaute auf dieses verstümmelte Ohr. Er war sich ganz sicher, dass er den Mann schon einmal irgendwo gesehen hatte. Unter den Piraten, die ihm seine „Leopard“ gestohlen hatten, war auch einer mit solch einem Ohr gewesen, ein Mann, der sein Gesicht hinter einem roten Taschentuch und falschen Tränen verborgen hatte. Es kostete Jonathan alle verfügbare Beherrschung, sich nicht sofort auf den Mann zu stürzen, der vor ihm saß.
    „Antworte mir gefälligst, du Schwachkopf!“, befahl Graham. „Oder bist du taub und stumm?“
    Jonathan hatte noch immer Schwierigkeiten mit seiner Beherrschung, und er zögerte seine Antwort so lange wie möglich hinaus. Zumindest schien Graham ihn nicht wiedererkannt zu haben. Möglicherweise hatte er Jonathan in jener stürmischen Märznacht auch nicht deutlich gesehen, oder er ging einfach davon aus, dass der wirkliche Kapitän der „Leopard“ seinerzeit umgekommen war.
    „Tom Cooke hat mir gesagt, Ihr suchtet noch Männer“, antwortete er endlich und fügte vorsichtshalber noch „Sir“ hinzu. Er selbst war schon mit neunzehn Jahren sein eigener Kapitän gewesen, und einem solchen elenden Halunken wie
    Graham mit Hochachtung zu begegnen, fiel ihm nicht leicht. „Einen besseren Seemann als mich werdet Ihr nicht finden -Sir.“
    „In diesem miserablen Hafen bekommt man Seeleute im Dutzend billiger“, erklärte Graham verächtlich. Obwohl es Juni war, trug er einen schweren Umhang über einer langen Weste. Seine Füße steckten in dicken Wollsocken und lagen auf einer durchlöcherten Blechkiste, in der sich glühende Kohlen befanden. So etwas Ähnliches schleppten die feinen Damen in Neuengland auch immer mit sich, wenn sie im Winter zu ihren Teenachmittagen gingen.
    „Und überhaupt - weshalb kommst du gerade zu mir?“, verlangte Graham zu wissen.
    „Weil ich ein Vermögen damit machen will, die Spanier bis aufs Hemd auszurauben, Sir.“ Und, fügte Jonathan im Stillen hinzu, weil ich mir zurückholen will, was meines ist. Er schaute sich in der Kajüte um, die ihm einst gehört hatte. Bücher und Seekarten lagen unordentlich und zerknittert umher, auf dem polierten Mobiliar befanden sich Ringe von nassen Trinkkrügen, und die Messingbeschläge waren angelaufen. Der Zorn stieg aufs Neue in Jonathan auf.
    „Was? Ein Krüppel wie du?“ Graham schnaubte verächtlich. „Leugne es gar nicht erst. Ich habe gesehen, wie du die Kajütstreppe heruntergekommen bist. Du stolperst über deine eigenen Füße, stimmt’s?“
    „Leider ist es nicht ganz so harmlos, Sir“, antwortete Jonathan mit einer Verdrossenheit, die er nicht erst spielen musste. „Eine Kugel aus nächster Entfernung, Sir.“
    Graham schlug mit der flachen Hand auf den Tisch und lachte laut. „So etwas! Du fängst an, mir zu gefallen. Und jetzt erzähle mir nicht noch, dass du vor dem Gesetz davonläufst oder vor einem gehörnten Ehemann. Beides würde dich hier umso willkommener machen.“
    Immer noch lachend, beugte sich Graham tiefer, als ob sein eigener Heiterkeitsanfall zu viel für ihn wäre. Unvermittelt fuhr er wieder hoch, und das Messer, das er blitzschnell aus seiner Weste gezogen hatte, schlug ins Schott ein, wo es vibrierend stecken blieb, während Jonathan im selben Moment sein eigenes Messer gezogen und sich dann, keinen Augenblick zu früh, geduckt hatte.
    Zornig zog er den

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