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Flagge im Sturm

Titel: Flagge im Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirinda Jarrett
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diesem schrecklichen Augenblick verfluchte sich Jonathan als einen hohlköpfigen Narren, als ein armseliges Zerrbild eines Kapitäns, der auf solch ein uraltes Piratenspiel hereingefallen war. Im nächsten Moment setzte sein Instinkt ein, und er kämpfte sowohl ums eigene Überleben als auch um den Erhalt seiner Ladung.
    Er drehte sich zur Seite und packte den Pistolenlauf, den ihm der Piratenkapitän in die Rippen drückte. Mit beiden Händen versuchte der Mann, die Waffe wieder in seine Gewalt zu bekommen, doch Jonathan war stärker und hielt sie fest. In seiner Panik drückte der Mann ab, und die Kugel flog ungezielt irgendwo ins Meer.
    Jonathan entwand dem Piraten die nun leergeschossene Waffe und hieb sie mit dem messingbeschlagenen Knauf gegen die Stirn des Mannes, der daraufhin leblos aufs Deck stürzte.
    Bei diesem Sturz fiel das unter seiner Jacke verborgene Entermesser heraus. Jonathan hob es auf. Rasch blickte er sich um. Das Blutbad entsetzte ihn. Fünf seiner Männer lagen bereits tot auf den Planken. Er sah die Leiche seines Kajütsjungen nah beim Niedergang liegen.
    Jetzt fiel ihm das Töten nicht mehr schwer. Grimmig löschte er das Leben des nächsten Angreifers aus und dachte dabei nur an die ermordeten Mitglieder seiner Mannschaft, seine Freunde, und an den Jungen aus Wickham, der nun seinen zwölften Geburtstag nicht mehr erleben konnte.
    Da traf eine Pistolenkugel Jonathans Bein, und während der heftige Schmerz einsetzte, legte sich die Schaluppe mit einem Mal auf die Seite. Jonathan konnte sich im letzten Moment noch irgendwo festhalten, um nicht über Bord zu rutschen. Das Ruder war nicht besetzt, und die „Leopard“ wurde steuerlos vom Wind hart nach Backbord getrieben. Wellen schlugen immer wieder auf das Deck.
    Falls es ihm nicht gelang, den Segler wieder in den Wind zu drehen, würden sie mit Mann und Maus verloren sein. Er musste unbedingt nach achtern zum Ruder gelangen. Er klammerte sich fest, wo immer das möglich war, und kämpfte sich vorwärts. Sein verwundetes Bein wollte ihn nicht tragen, und seine Kräfte verließen ihn.
    Verdammt, nein! Er war schließlich der Kapitän der „Leopard“, und sie war durch seinen Fehler in diese Katastrophe geraten. Er musste sie retten!
    Er befand sich jetzt fast schon am Besanmast und hatte es nicht mehr weit bis zum Ruder. Als die „Leopard“ erneut heftig schlingerte, fasste er nach dem Gangspill, doch seine Finger griffen in die leere Luft. Jonathan glitt das schräge Deck hinunter, krachte an Lee gegen die Reling, den Wellen entgegen, und dann umgab ihn nur noch das schwarze Nichts.
    „Immer schön langsam, Sir“, warnte der Fährmann mitfühlend und hielt Jonathan bei den Schultern fest. „Hab’ Euch ja überhaupt nicht für so mitgenommen gehalten wie diesen jungen Burschen da.“
    Jonathan knurrte nur irgendetwas. Er ließ den Mann lieber in dem Glauben, einen Betrunkenen vor sich zu haben, als ihm die Wahrheit zu sagen. Die Wahrheit war nämlich, dass sich in seinem Kopf alles so schnell drehte, dass er bezweifelte, zwei zusammenhängende Worte herausbringen zu können.
    Er war also kein Mann, der den Kampf scheute, ein Pirat war er indessen ebenfalls nicht, wohl jedoch das Opfer von Piraten. Wie einfach war es doch gewesen, die wenigen Einzelheiten fehlzudeuten, an die er sich noch hatte halten können! Die Schusswunde, die alten Narben, sein Geschick mit Dolch und Feuerwaffen, sein erstes Gespräch mit Tom - das alles ergab jetzt einen Sinn.
    Sogar für den so auffallenden roten Rock, den er getragen und seitdem nie wieder angezogen hatte, gab es eine Erklärung, die so simpel war, dass es schon beinahe wehtat: Er hatte Rot getragen, weil dieses seine Lieblingsfarbe war.
    Mit einer Mischung aus Sehnsucht und Bitterkeit schaute er zu der Schaluppe hoch. Die „Leopard“ - verdammt, neuer Anstrich oder nicht, für ihn blieb es nun einmal die „Leopard“ - war vor knapp zwei Jahren auf der besten Werft in Saybrook gebaut worden und stellte ein Gemeinschaftsunternehmen von ihm und seinem Bruder Kit dar.
    Inzwischen hatte man die Schaluppe sicherlich bereits als verloren aufgegeben, und es schmerzte Jonathan, dass seine Familie in dem großen Haus in Plumstead um ihn trauerte. Seine Familie, das waren Kit, Kits Gattin Dianna, ihr gemeinsamer Sohn Joshua und ...
    Dianna Sparhawk! Großer Gott, die Frau, an die er sich erinnert hatte, war die Gattin seines Bruders! Jonathan ließ die Schultern noch tiefer hängen und schüttelte

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