Flames 'n' Roses
Mein Platz innerhalb der IBKP war mir bisher so sicher vorgekommen, aber nun, da ich wusste, dass ich als Stufe sieben klassifiziert war, hatte ich bei allem, was ich tat, Angst, mich verdächtig zu verhalten. Paranormale wurden hier nicht gleichberechtigt behandelt – sie waren immer nur die Anderen. Auf Lends Freilassung zu drängen war so ungefähr das Verdächtigste, was ich jetzt machen konnte.
Aber dann wurde mir klar, dass ich die ganze Zeit dasaß und mir Sorgen machte – ob Lend in mir mehr als eine Freundin sah (wenn er überhaupt eine Freundin in mir sah), Sorgen über meinen Status bei der IBKP, Sorgen um mich selbst. Immer um mich selbst. Genau wie in Irland, als ich schluchzend um mein Leben gerannt war und Jacques allein zurückgelassen hatte. Da draußen starben Paranormale. Wenn Moorhexen und Vampire umgebracht wurden, war das noch einigermaßen leicht zu verdrängen, aber Jacques hatte das nicht verdient. Es musste einfach aufhören.
»Ich werde Raquel noch mal drauf ansprechen. Was immer sie bis jetzt unternommen haben, es funktioniert nicht.«
Lishs Augen lächelten. »Braves Mädchen.«
Ich lächelte zurück und fragte mich insgeheim, ob Lish etwa schon seit Längerem versucht hatte, mir das klarzumachen. Mit ihr hatte ich nie ein Problem gehabt. Und auch ein paar von den anderen Paranormalen konnte ich ganz gut leiden, besonders die Werwölfe. Schließlich war es ja nicht ihre Schuld, dass sie so waren, wie sie waren.
Na ja, wenn man genauer darüber nachdachte, konnte eigentlich keiner der Paranormalen etwas dafür. Es war ja nicht so, als würden Moorhexen eines Morgens aufwachen und sich denken: Hey, Kinder essen ist doch bestimmt ein Riesenspaß. Man konnte sie eher mit Geiern vergleichen. Die sind auch fies und eklig, klar, aber so sind sie nun mal.
Aber war es deswegen in Ordnung? Bedeutete das, man sollte sie weiter in Tümpeln und Sümpfen rumgeistern und auf den nächsten saftigen Snack warten lassen? Mir schwirrte der Kopf. Ich brauchte dringend eine Denkpause.
»Wärst du sauer, wenn ich jetzt zu Lend gehen würde?«
»Piep, natürlich nicht. Los, hau schon ab zu deinem komischen Süßen.«
Ich lachte, pustete zum Abschied gegen die Scheibe und machte mich dann auf zu Lends Zelle.
Er trug noch immer den dunkelhaarigen, dunkeläugigen Standardschnuckel und war gerade dabei, etwas auf den Block zu zeichnen, den ich ihm mitgebracht hatte. Als er aufsah und mich entdeckte, breitete sich Erleichterung auf seinem Gesicht aus. »Da bist du ja wieder.«
Ich nickte und versuchte zu lächeln. Aber zu meiner ungeheuren Beschämung brach ich plötzlich in Tränen aus. Er sprang auf und zog mich in seine Arme.
»Was ist denn los? Was ist passiert?«
»Es war da. Es hat die Moorhexe getötet und dann Jacques. Und ich bin einfach weggerannt.«
Er ließ mich nicht los. »Hast du es gesehen?«
»Ein bisschen.« Ich beschrieb ihm das wenige, was ich hatte erkennen können. »Oh, und es hat einen Handabdruck hinterlassen. Auf der Moorhexe, auf ihrer Brust. Einen schimmernden hellgoldenen Abdruck, der blasser wurde und dann verschwand, ich konnte dabei zusehen.«
»Auf ihrem Körper?«
»Ich glaube, er war unter ihrem Cover. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand anders ihn hätte sehen können. Sah ganz ähnlich aus wie das, was unter meiner Haut ist. Aber Reth hat ein Alibi.«
Lend runzelte die Stirn. »Alles okay mit dir?«
»Ich weiß nicht. Es war so … ich hatte noch nie solche Angst. Ich hab wirklich gedacht, ich müsste sterben. Und Jacques – ich habe gehört, wie er …« Ich fing wieder an zu weinen. Lend schob mich zum Bett und setzte sich neben mich, den Arm um meine Schultern gelegt.
»Tut mir leid«, sagte ich und wischte mir über die Augen.
»Jetzt entschuldige dich doch nicht. Ich bin froh, dass du’s da weg geschafft hast. Und du bist die Erste, die irgendwas gesehen hat. Das ist doch schon mal ein Riesenfortschritt.«
»Ja – wenn du nicht eingesperrt wärst. Ich rede noch mal mit Raquel und versuche, ihr klarzumachen, dass wir mit dir zusammenarbeiten und dich nicht wie einen Kriminellen behandeln sollten. Wir müssen dieses Ding aufhalten.«
Er nickte und ich hatte das Gefühl, dass er auch ein bisschen stolz auf mich war. Dann beugte er sich vor und gab mir einen sanften Kuss auf den Kopf.
Wie konnte man sich nur so schrecklich und so wunderbar zugleich fühlen?
Ruft mich nicht an
Entschlossen, meinen Worten so schnell wie möglich Taten
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