Flames 'n' Roses
dass ich mir fast vorstellen kann, sie wäre meine Mutter. Sie hat mich zu meinem ersten Einsatz begleitet, um sicherzugehen, dass ich gut zurechtkomme, und sie versucht, mein Leben hier so normal wie möglich zu gestalten. Und Lish ist die tollste beste Freundin, die man sich vorstellen kann, auch wenn man mit ihr ums Verrecken nicht Fangen spielen kann.«
Natürlich kannte er Lish noch gar nicht, also redeten wir erst über sie und dann noch ein paar Stunden über alles, was uns sonst noch so einfiel. Ich bat ihn darum, dass er mir seinen typischen Tagesablauf bis ins kleinste Detail beschrieb, und fragte ihn aus, wo er aufs College gehen und was er studieren wollte. Meiner Meinung nach wäre ja Kunst das Richtige, aber er lachte nur und sagte, er würde lieber ein bisschen was Praktischeres machen. Dann wollte er wissen, wie es gewesen war, hier in der Zentrale aufzuwachsen. So tauschten wir Geschichten aus. Ich war froh über die Ablenkung.
Irgendwann war ich schließlich zu müde, um noch einen zusammenhängenden Satz rauszubringen. »Ich muss ins Bett. Aber morgen komme ich wieder, okay?«
Er lächelte. »Gut. Ach ja, hier.« Er schlug den Zeichenblock auf und riss ein Blatt heraus. Er hatte das Gedicht für mich aufgeschrieben. »Vielleicht fällt dir ja irgendwas dazu ein.«
»Gut, danke. Ich zeig’s auch keinem.«
»Ich weiß.« Dann riss er noch ein Blatt heraus und überreichte es mir grinsend. Es war eine Zeichnung von mir in meinem Zebrakleid und den rosa Stiefeln.
Oh Mann, ich mochte diesen Jungen wirklich.
Wieder in meinem Zimmer, starrte ich noch eine ganze Weile auf die Zeichnung. Er hatte mich wirklich gut getroffen, was mich hoffen ließ, dass er hin und wieder an mich dachte. Ich verbrachte auf jeden Fall ziemlich viel Zeit damit, an ihn zu denken, so viel stand mal fest. Ich räumte mein Bett frei und legte mich hin, die Zeichnung neben mir.
Dann las ich mir das Gedicht noch ein paarmal durch, aber die brillanten Ideen blieben leider aus. Das Ganze war einfach viel zu seltsam und vage. Mir fielen zwar eine Menge Erklärungen ein, die sogar irgendwie hinkommen konnten, aber nichts passte perfekt. Außerdem beschlich mich immer wieder die Angst, dass das Gedicht etwas mit mir zu tun haben könnte, worunter meine Konzentration ziemlich litt. Schließlich schob ich es unter die Zeichnung, knipste das Licht aus und schlief ein.
Als ich die Augen wieder öffnete, war es dunkel, bis auf ein schwaches Licht neben mir. Jemand summte eine sanfte, eindringliche Melodie, die eine schmerzhafte Sehnsucht in mir auslöste. Panisch tastete ich nach meiner Nachttischlampe und warf sie fast um, als ich versuchte, sie anzuschalten. Am Fußende meines Betts saß Reth.
»Hallo«, sagte er mit liebenswürdiger Stimme und einem ebensolchen Lächeln.
»Du kannst mich nicht berühren!« Ich setzte mich auf und zog mir die Decke bis unters Kinn.
»Ja, was das angeht: Den Befehl müsstest du widerrufen.«
»Bitte was?«
Geduldig sah er mich an, als wäre ich ein dickköpfiges Kind, dem er etwas zu erklären versuchte. »Du musst den Befehl aufheben.«
»Und warum zum Teufel sollte ich das tun?« Empört starrte ich ihn an. Der Typ hatte sie doch nicht mehr alle.
»Weil ich noch nicht fertig war.«
»Oh, da bin ich aber anderer Meinung.« Ich zeigte ihm mein Handgelenk. Darauf war noch immer sein feuerroter Handabdruck zu sehen und die goldenen Wirbel leuchteten hell im Schein der Lampe, zumindest in meiner Wahrnehmung. Da ich die Hand sowieso hochhielt, zeigte ich ihm gleich mal den Stinkefinger.
»Das reicht aber nicht.«
»Nichts leichter als das.« Ich hob die andere Hand und hielt ihm auch noch deren Mittelfinger hin.
Seine goldenen Augen schimmerten im gedämpften Licht. »Es hat nicht funktioniert; dir ist immer noch kalt.«
»Mir geht’s super, danke der Nachfrage.«
»Augen wie Bäche aus Schnee und aus Eis, voll Kälte – so vieles, was sie noch nicht weiß.«
Ich warf einen Blick zu dem Blatt mit dem Gedicht; es lag immer noch an seinem Platz, versteckt unter der Zeichnung. »Ja, ja, kenne ich schon. Endet mit jeder Menge Tod.«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, das ist nicht deins. Das ist ihres. Deins endet anders. Du wirst das alles verstehen, wenn du nur zulässt, dass ich dich erfülle.«
»Wovon redest du eigentlich?«, rief ich. Langsam ging er mir echt auf den Keks. Wenn er mich schon belästigen musste, dann konnte er sich doch wohl wenigstens klar ausdrücken. Diese
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