Flaming Bess 09 - Die Erde
»Bordverteidigungssysteme aktiviert. Elektromagnetischer Puls fertig zur Entladung. Lasergeschütze ausgefahren und auf elektronische Zielerfassung geschaltet. Torpedokatapulte feuerbereit. Schutzschirme voraktiviert.« Er hüstelte erneut und fügte hinzu: »Um es zurückhaltend zu formulieren — es gibt für einen Gegner nur eine Möglichkeit, dieses Schiff zu zerstören, und zwar von innen her.«
»Nett hat er das gesagt«, ließ sich Ken Katzenstein wieder vernehmen. »Ich frage mich nur, ob sich einer von uns angesprochen fühlen soll.«
Mit einem Seufzer drehte sich Bess zu ihm um. »Was hältst du davon, wenn du dich um deine Maschinenkontrollen kümmerst, Katz?«
Er grinste. »Dein Wunsch ist mir Befehl. So etwas nennt der Fachmann Galanterie.«
Vira Mandala kicherte. »Und die Fachfrau nennt das Geschwätz.«
Ein elektronischer Signalton erklang.
»Start in minus dreißig Sekunden«, meldete Glory Moon nüchtern.
Der Triebwerkslärm schwoll an. An den Schaltwänden entlang der Galerie erloschen die letzten roten Dioden. Alle Kontrollen zeigten Grünwerte.
Ein Beben durchlief das Schiff, und auf den Monitorfenstern am unteren Rand des Hauptbildschirms blendete der Bordcomputer die Aufnahmen der externen Kameras ein: Sie zeigten die riesigen Düsenöffnungen der Primärtriebwerke, die wie Mäuler an der Unterseite des Maschinendecks klafften. Feuer loderte hinter den elektromagnetischen Abschirmfeldern der Brennkammern.
Wieder erschütterte ein Beben das Schiff. Die Abschirmfelder verformten sich, weißglühende, hochbeschleunigte Plasmaströme brachen tosend aus den Triebwerksdüsen und bildeten einen Ring feuriger Säulen um das Schiff. Das synchronisierte Startfeld leuchtete jetzt so hell, daß die energetischen Maschen des Netzwerks miteinander zu verschmelzen schienen.
»Start!«
Die NOVA STAR hob ab.
Getragen vom rötlich leuchtenden Energiefeld und vom Schub der Primärtriebwerke löste sich der Koloß vom Raumhafen und stieg zunächst langsam und dann immer schneller werdend in den wolkenlosen Himmel.
Die Stadt der Gaukler am Rand des Hafens schrumpfte auf Spielzeuggröße, und im Osten wurde die fruchtbare, von der natürlichen Barriere der Drachenberge begrenzte Ebene sichtbar.
Die NOVA STAR erreichte die Stratosphäre und stieg weiter. Das Blau des Firmaments verwandelte sich in Schwarz, die Sterne tauchten auf, und in der Finsternis des interplanetaren Raumes wirbelten die Parafarben des Dimensionstors.
Flaming Bess fuhr mit der Zunge über ihre trockenen Lippen.
Sie war nervös.
Alle an Bord waren nervös.
Dort war das Tor zur Erde, und es gab kein Zurück mehr.
Was, wenn es ein Weg ohne Wiederkehr ist? dachte Bess. Wenn uns das Tor ins Innere der blauen Sonnensphäre führt und sich dann wieder schließt? Wenn die Sonnensphäre für uns zum Kerker wird?
Aber sie hatten keine Wahl.
Sie mußten es wagen.
»Glory, Kurs auf das Tor. Vollschub für die Primärtriebwerke!« befahl sie rauh.
Die Psychonautin bestätigte und fuhr die Triebwerke hoch. Das Schiff machte einen Satz, und das grün-blaue Rund des Planeten versank im Schwarz des Weltraums. Das Dimensionstor wuchs und füllte den Hauptbildschirm aus.
»Transit in minus dreißig Sekunden«, meldete Glory Moon über Lautsprecher. Die synthetisch erzeugte Computerstimme der Psychonautin klang emotionslos wie immer, doch ihr Gesicht verriet ihre innere Anspannung.
Die Erde, dachte Flaming Bess. Gleich werden wir die Erde sehen.
Die Parafarben des Tores leuchteten so hell, daß es in den Augen schmerzte. Wie gebannt starrte Bess in das rasend schnell rotierende Regenbogenfeld, als könnten ihre Blicke die Lichtjahre überbrücken, die die Torwelt von der Erde trennten.
»Transit in minus zwanzig Sekunden.«
Sie preßte die Lippen zusammen. Ihr Herzschlag beschleunigte sich, und sie hatte das Gefühl, als ob ein Eisenring ihre Brust zusammenschnürte.
Sie hatte Angst.
Angst vor dem, was sie auf der anderen Seite des Tores finden würden.
Und gleichzeitig spürte sie Triumph und Freude.
Die Erde! Hinter dem Tor wartete die Erde auf sie!
»Transit in minus zehn Sekunden«, meldete Glory Moon.
Die Farben des Tores krochen aus dem Bildschirm in die Zentrale und legten sich wie rote, blaue und grüne Schatten auf die Gesichter, die Farben des Tores stahlen sich durch die Augen in die Gedanken, und die Gedanken …
»Transit!«
… wurden frei.
Es gab nur noch Farben und Gedanken. Keine Zeit, keinen Raum, keine
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