Flamingo (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
ihn.
»Ich hab Ihnen das hier gemacht, Mister Dave. Ich wollte sowieso schon zu Ihnen kommen.«
»Das ist sehr nett von dir, aber –«
»Daß Sie’s aber auch ja um den Knöchel tun.«
Ich machte keine Anstalten, den roten Faden mit dem durchbohrten Zehncentstück aus seiner Hand zu nehmen. Er ließ es in die Brusttasche meines Hemdes fallen.
»Sie sind weiß, Sie waren auf dem College, Sie glauben nicht an so was«, sagte er. »Aber ich hab es gesehen. Da war ein Mann, auf dem sein Grab hat’s vor Schlangen nur so gewimmelt. Die waren so dick wie mein Handgelenk. Man hat sie mit Gift und auch mit der Flinte nicht von dem Grab runterbekommen. Man konnte sie mit der Heugabel aufspießen, sie ins Feuer schütteln, am nächsten Morgen waren sie wieder da und haben gerochen, als wären sie die ganze Zeit in heißer Asche gelegen.
Da war mal ’ne Frau, die hieß Miz Gold, weil sie goldene Haut hatte. Sie hat Gros Mama ’nen Mann ausgespannt und ist dann mit ihm in Gros Mamas Lokal gekommen, in ’nem rosa Seidenkleid, mit ’nem rosa Schirmchen, und sie hat sich über die Tätowierungen von Gros Mama lustig gemacht und gesagt, sie war nur ’ne Nigger putain, die das macht, was ihr die Weißen sagen. Als Miz Gold am nächsten Tag aufgewacht ist, war ihr ganzes Gesicht voll Haar. Wie bei ’nem Affen. Sie hat alles gemacht, um es wieder loszuwerden, Mister Dave. Sie hat es sich mit ’ner Zange rausgerupft, bis ihr das Blut über den Hals geflossen is. Aber es hat alles nix genutzt. Sie ist dann so häßlich gewesen, daß sich niemand mehr in ihre Nähe gewagt hat, und kein Weißer hat sie mehr für sich arbeiten lassen wollen. Sie ist immer durch die Straßen gewandert und hat Lumpen aus Gran’mamans Mülltonne rausgepickt.«
»Schön, Tee Beau, ich werde dran denken.«
»Nein, das werden Sie nicht. In einer Hinsicht sind Sie wie die meisten anderen Weißen, Mister Dave. Sie hören nicht auf das, was Ihnen ein schwarzer Mann zu sagen hat.«
Er hob die Bierflasche und sah mich über seine Brillengläser hinweg an.
Die Abendluft war kühl und feucht, und der Schatten hüllte alles in dunkle Rottöne, als ich zurück zu meinem Pick-up lief. Ich sah einen geparkten Wagen, dessen Parkuhr abgelaufen war. Ich entfernte den roten Faden von dem Zehncentstück, das Tee Beau mir gegeben hatte, steckte die Münze in die Parkuhr und drehte den Hebel nach rechts. Vor dem Schnapsladen schnippten zwei Schwarze in bunten Hemden und mit gelackten Porkpie-Hüten mit den Fingern zu der Musik aus einem Ghettoblaster. Ohne ersichtlichen Grund lächelte der eine von beiden mich an, und seine Zähne blitzten golden.
Ich kehrte nicht gleich wieder zu Tonys Haus zurück. Statt dessen parkte ich am Jackson Square und setzte mich auf eine steinerne Bank vor der St. Louis Cathedral und betrachtete die Leute, die gerade aus dem Samstagsabendgottesdienst kamen. Konfuse Gedanken erfüllten meinen Kopf wie das Flattern von Flügeln in einem Vogelkäfig. Von einem Münztelefon an der Ecke aus rief ich Bootsie an, aber sie war nicht zu Hause. Der Platz war jetzt dunkel, und im Licht vom Café du Monde sah man scharf die Umrisse der Myrten und Bananenstauden. Vom Fluß her blies ein kühler Wind. Nachdem sich die Kathedrale geleert hatte, ging ich hinein und kniete mich auf einer der hinteren Bänke nieder. Oben auf einem Beichtstuhl leuchtete ein kleines rotes Licht wie ein Tropfen elektrifiziertes Blut, was besagte, daß sich ein Priester darin befand.
Im Augenblick haben viele Leute ihre Liebe zur Cajun-Kultur entdeckt, aber sie wissen nur wenig von deren dunkler Seite: organisierte Hunde- und Hahnenkämpfe, die beiläufige sexuelle Ausbeutung schwarzer Frauen, die ignorante Gleichgültigkeit gegenüber der Umwelt, die unter anderem dazu geführt hat, daß große Teile der Sumpf gebiete trockengelegt und durch Industrie schwer in Mitleidenschaft gezogen wurden. Und nur wenige Leute, die nicht von hier sind, verstehen die extremen Gefühle der Cajuns, wenn es um Treue und das Besitzdenken gegenüber anderen Menschen geht.
Als ich zwanzig war, arbeitete ich als Schweißergehilfe zusammen mit meinem Vater an einer Pipeline etwas außerhalb einer kleinen Stadt im Norden des Atchafalaya-Beckens. Irgendwie kam heraus, daß eine verheiratete Frau aus der Stadt eine Affäre mit dem örtlichen Priester hatte. In der Nacht versammelte sich der Mob, um sie zu holen. Sie fuhren in einer Wagenkarawane mit ihr zu einem freien Feld neben der Kirche.
Weitere Kostenlose Bücher