Flamingo (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
Dort bildeten sie einen Kreis um sie, und während sie heulte und flehte, schlugen sie sie mit Haarbürsten grün und blau. Zur gleichen Zeit rief jemand ihren Ehemann bei der Arbeit in Baton Rouge an und setzte ihn von der Untreue seiner Frau in Kenntnis. Er kam ums Leben, als er am selben Abend während eines Gewitters heimfuhr.
Manche mögen das als die einfache Bigotterie von Rednecks abtun, aber meiner Meinung nach sind die Hintergründe wesentlich vielschichtiger. In der Vorstellung der Landbevölkerung von Louisiana ist der Priester der Stellvertreter Gottes auf Erden, und sie sind nicht bereit, den einen oder den anderen zu teilen. Wann immer es hier zu Gewalttaten kommt, hat es selten mit Geld zu tun. Aber die Gewalt erreicht hier schnell mörderische Intensität, wenn es um ein gebrochenes Versprechen, eine Lüge oder ein Unrecht geht, das einem Familienmitglied zugefügt wurde. Der Sinn der Leute hier für Loyalität ist atavistisch und irrational, und wann immer Loyalität in irgendeiner Form Schaden nimmt, empfinden das die Leute so schmerzhaft und schockartig, unabhängig davon, wie oft so etwas geschieht, wie einen Stich ins Herz.
Ich betrat den Beichtstuhl. Der Priester öffnete die kleine Holztür hinter dem Vorhang, und ich konnte den grauen Umriß seines Kopfes erkennen. Der Stimme nach war es ein älterer Mann, und ich mußte auch noch feststellen, daß er etwas schwerhörig war. Ich versuchte ihm zu erklären, worin meine Probleme lagen, aber es verwirrte ihn nur zusehends.
»Ich bin ein Polizeibeamter, der undercover arbeitet, Pater. Meine Arbeit macht es erforderlich, daß ich einige Leute hintergehe. Diese Menschen sind schlecht, nehme ich an, oder zumindest ist schlecht, was sie tun, aber trotzdem fühle ich mich nicht wohl dabei.«
»Ich verstehe nicht.«
»Ich belüge Menschen. Ich gebe vor, etwas zu sein, das ich nicht bin. Ich habe das Gefühl, daß ich mein Leben zu einem einzigen gewaltigen Schwindel mache.«
»Weil Sie diese Leute verhaften wollen?«
»Ich bin Trinker. Ich bin Mitglied der Anonymen Alkoholiker. Dort wird Ehrlichkeit über alles gestellt.«
»Sie trinken? Sind Sie jetzt betrunken?«
Ich versuchte es noch einmal. »Ich habe mich da auf eine Sache mit einer Frau eingelassen. Sie ist eine alte Freundin aus meiner Heimatstadt. Vor vielen Jahren habe ich ihr sehr weh getan. Ich befürchte, daß ich ihr noch einmal weh tun muß.«
Er war etwas erkältet und schniefte in ein Taschentuch. »Ich verstehe nichts von dem, was Sie mir da erzählen«, sagte er.
»Letzten Sommer wurde ich niedergeschossen, Pater. Fast wäre ich gestorben. Als Folge davon habe ich große Ängste und Selbstzweifel entwickelt. Um sie zu überwinden, habe ich mich darauf eingelassen, undercover zu arbeiten. Jetzt fürchte ich, daß vielleicht andere für mein Problem den Kopf hinhalten müssen – die Frau aus meiner Heimatstadt, ein Mann mit einem verkrüppelten Kind, eine junge Frau, mit der ich heute zusammen war und von der ich mich angezogen fühle, was bestimmt nicht richtig ist.«
Sein Kopf war vornübergebeugt. Das Taschentuch in seiner Hand war zerknüllt.
»Können Sie mir vielleicht einfach sagen, wieviele Gebote Sie gebrochen haben und wie oft?« fragte er. »Mehr brauchen Sie im Moment wirklich nicht zu tun.«
Er wartete, und es war offensichtlich, daß es ihm zumindest in diesem Augenblick genauso wichtig war wie mir, verstanden zu werden.
Sonntag morgen gingen Tony und ich mit Paul zum Reiten auf die Farm von einem von Tonys Mafiafreunden unten im Plaquemines Parish. Tony hatte Paul einen braunen Cordanzug angezogen, mit einer hellbraunen Schirmmütze aus Wildleder, und er hielt ihn vor sich auf dem Sattel, während wir unsere Pferde im Schritt über ein stacheldrahtumzäuntes Feld mit lehmigem Untergrund führten, das praktisch direkt an der Golfküste lag. Auf dem Feld stand hellgrünes Gras, und weiße Reiher pickten in den getrockneten Kuhfladen herum. Die wenigen Palmen an dem schmalen Strandstreifen waren gelb und von der Braunfäule befallen, und sie raschelten und bogen sich in dem starken Wind, der vom Wasser her blies. Hinter uns, geparkt bei einem dicht bewachsenen Eichenhain, waren die Lincoln und die weiße Cadillac-Limousine. Die übrigen Leibwächter von Jess und Tony saßen in der Sonne, tranken Bier aus Dosen und aßen gebratene Hühnchen aus Pappkartons. Um sich die Zeit zu vertreiben, ballerten sie mit ihren Pistolen auf die Möwen, die weiter draußen auf
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