Flamingo (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
Street, den Straßenkünstlern am Jackson Square und den Stripteaselokalen und T-Shirt-Shops auf der Bourbon Street, aber es hat ein kommunales Eigenleben, wie es sich für ein Wohnviertel gehört: eine katholische Grundschule, einen öffentlichen Park, kleine Lebensmittelläden mit Fliegentüren, Dielenböden und Deckenventilatoren und offenen Kühltruhen, bis obenhin voll mit Wurst, Käse und küchenfertig geschupptem Katzenwels; davor auf dem Gehsteig unter den Säulenvorbauten Obstkisten mit Pflaumen und Bananen.
Um zu meiner Wohnung zu gelangen, mußte man durch ein eisernes Tor hindurch und über einen von einer Ziegelkuppel überdachten Aufgang in einen von einer Mauer umgebenen Innenhof. Die Blumenbeete waren üppig mit Azaleen und Kamelien in voller Blüte und unbeschnittenen Bananenstauden, und die Leute, die im zweiten Stock wohnten, hatten überall entlang der Balkonbalustrade Kaffeedosen mit Begonien aufgestellt und Körbe mit Fleißigen Lieschen aufgehängt.
Meine Wohnung war im ersten Stock. Ein Schlafzimmer, eine kleine Küche, Bad mit Dusche, Wohnzimmer. Wie in den meisten Häusern im Quarter zeugten die Wände von den Versuchen der Besitzer, sich dem Wandel der Technik anzupassen. Um die Jahrhundertwende hatte man die Gaslampen abmontiert und die Anschlüsse verputzt. Einzelne Ziegel waren aus den Wänden gebrochen worden, um die Leitungen neu zu verlegen; aus dem Wandputz ragten große elektrische Schalter, mit denen man aber kein Licht anmachen konnte.
Ich öffnete die Fenster und machte mich daran, meine Klamotten in den Wandschrank zu hängen. Vielleicht hätte ich ein Hochgefühl verspüren sollen, wieder in New Orleans zu sein, hier im First District, wo ich vierzehn Jahre lang Polizist gewesen war, aber es kam mir irgendwie seltsam vor, so allein in einer Wohnung, die nur gemietet war, hier im Licht eines abklingenden Nachmittags, das auf den Bananenstauden draußen kalt und gelb wirkte. Vielleicht war es auch einfach eine Frage des Alters. Die Einsamkeit und die Jahre hatten mir zugesetzt, und obwohl ich mehr als ein halbes Jahrhundert auf dem Buckel hatte, war ich zu dem Schluß gekommen, daß ich zu den Menschen gehörte, die nie mit Sicherheit wissen würden, wer sie wirklich waren. Hinter all den Gedanken, die ich mir über mich selbst machte, würde immer ein Fragezeichen stehen – meine einzige Identität lag in dem Abbild meiner selbst, das ich in den Augen anderer sah.
Ich fühlte, wie sich Depression und Trauer um mich legten – ein dunkler, alkoholischer Mantel, der über lange Zeiträume hinweg symptomatisch für mein Erwachsenenleben gewesen war. Ich verstaute Hemden, Unterwäsche und Socken in den Schubladen einer Kommode, zog mich bis auf die Boxershorts aus und machte an einem Eisenrohr in der Küche zehn Klimmzüge mit einem Arm, vierzig Leglifts und fünfzig Klappmesser. Danach ging ich duschen und drehte das Wasser so heiß, daß meine Haut unter der Sonnenbräune rot und körnig wurde.
Ich trocknete mich ab und kämmte mir vor dem Spiegel das Haar. Ich hatte fünfzehn Pfund verloren, seit Boggs mich niedergeschossen hatte. Mein Bauch war flach, die Fettpolster um die Hüften nahezu verschwunden. An der Stelle, wo mich in Vietnam eine der tückischen Springminen erwischt hatte, die die Soldaten »Bouncing Betty« nannten, sah das vernarbte Gewebe aus wie zahllose kleine Pfeilspitzen, die rechts an Oberschenkel und Leib unter die Haut geschoben worden waren. Haar und Bart, vom Vater geerbt, waren immer noch dicht und schwarz, von dem weißen Flecken über einem Ohr abgesehen, und wenn ich die Falten am Hals und um die Augen herum und die pfefferfarbenen Sprengsel von Hautkrebs auf meinen Armen ignorierte, konnte ich immer noch so tun, als sei das Spiel in vollem Gang.
Frage: Wo treibt man in New Orleans ein paar Gramm Koks auf?
Antwort: Fast überall, wo man will.
Aber wo konnte man ein Kilo kaufen? Schon schwieriger. Minos hatte mir vorgeworfen, alles über einen Kamm zu scheren. Später sollte ich mich fragen, wann er wohl zuletzt Kontakt mit seiner Klientel auf der Straße gehabt hatte.
Es dämmerte schon, als ich zu der Adresse in der Esplanade Street am Rande des French Quarters gelangte. Die Luft war frisch, und auf dem Boden von unbestimmter Farbe raschelten vertrocknete Palmwedel im Abendwind. Kostümierte schwarze Kinder mit Halloween-Laternen rannten in Gruppen von einem hohen, erleuchteten Hauseingang zum nächsten. Der Mann, den ich suchte, lebte an
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