Flamingo (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
Problem. Die Küstenwache wird sich dem Schiff, das liefert, an die Fersen heften und es sich greifen, wenn Sie erstmal weg sind. Das heißt also, daß die Regierung das Geld wiederkriegt. Ich weiß nicht, warum diese Typen so einen Aufstand machen. Die sind zum Kotzen.«
»Besorgen Sie mir Cardos Akte vom Militär.«
»Wozu soll das gut sein?«
»Da muß irgendwas in Vietnam gewesen sein, an dem er schwer zu knabbern hat.«
»Na und?«
»Meiner Meinung nach ist er ein sehr vielschichtiger Mann. Die Sache mit seinem Sohn haben Sie mir gar nicht erzählt.«
»Ja, traurige Geschichte.«
»Es hat den Anschein, daß er sich hingebungsvoll um ihn kümmert.«
Einen Moment lang war es still in der Leitung.
»Cardo ist ein Drogendealer, und die Schweine, die für ihn arbeiten, sind Mörder. Alles andere ist irrelevant. Es ist wichtig, daß Sie das verstehen, Dave.«
»Ich will damit nur sagen, daß man ihn nicht einfach als Abschaum abtun kann.«
»In der Tat. Er läßt den Abschaum für sich arbeiten. Wie beispielsweise Jimmie Lee Boggs. Kriegen Sie das in Ihren Schädel? Ich melde mich später wieder bei Ihnen. Tragen Sie Ihre Waffe, wenn Sie mit denen aufs Meer rausfahren. Ich möchte, daß Sie heil und gesund von dieser Tour wieder zurückkommen.« Er hängte auf.
Am Abend wollte ich mit Bootsie essen gehen, aber sie hatte noch im Büro zu tun, und als sie schließlich fertig war, war es schon nach zehn. Also las ich im Bett ein Buch und schlief irgendwann nach Mitternacht bei Licht und mit einem Kissen über dem Kopf ein.
Das Licht der Abenddämmerung ist violett, und in den Weidenbäumen entlang dem Mississippi-Ufer sitzen zahllose Glühwürmchen und Leuchtkäfer, als sie den jungen Schwarzen aus dem Wagen bringen und ihn mit einer Kette um die Hüfte ins Red-Hat-Haus führen. Man hat ihm das Haar bis auf die Kopfhaut heruntergeschoren, und seine Ohren wirken unnormal groß an seinem Schädel. Vom Fluß her weht ein Wind, der in den Mais- und Zuckerrohrfeldern raschelt, aber sein Gesicht ist schweißtriefend, als sei er in einer eisernen Kiste eingeschlossen gewesen. Er raucht eine filterlose Zigarette, die er nicht von den Lippen nehmen kann, denn seine Hände sind mit Handschellen an die Hüftkette gefesselt. Bevor sie das rechteckige, bläßlichweiße Betongebäude betreten, nimmt ein bewaffneter Wärter dem Jungen die Zigarette aus dem Mund und schnippt sie in eine Regenpfütze, wo sie mit einem Zischen verlöscht.
Im Inneren des Gebäudes sitze ich mit den anderen Zeugen auf einer der Holzbänke – Reporter von Presse und Fernsehen, ein Pathologe, ein schwarzer Prediger und die Eltern des Mädchens, das der Verurteilte beim Überfall auf eine Tankstelle erschossen hatte. Sie sind Cajuns aus New Iberia. Sie sitzen starr und ausdruckslos da, und ihre Augen vermeiden es, den Jungen richtig anzuschauen, während er an Armen und Beinen auf den elektrischen Stuhl geschnallt wird. Die Frau krallt die ganze Zeit ihre Finger in ein Taschentuch; schließlich wischt sich ihr Ehemann mit der Hand über den Mund und steckt sich eine Zigarette zwischen die Lippen, aber dann wirft er einen Blick auf den bewaffneten Wärter und zündet sie nicht an. Durch die Eisengitter des Fensters hindurch sieht man den Rand der untergehenden Sonne, die blutrot hinter dem grünen Horizont von Weidenbäumen am Fluß verschwindet.
Dann leistet der Junge auf einmal Widerstand. Das ist der Augenblick, den keiner will, der Augenblick, der einem peinlich ist und einen beschämt. Sein Entsetzen läßt sich nicht länger von dem Thorazin bändigen, das man ihm den ganzen Tag lang verabreicht hat, und er bekommt einen Fuß frei und tritt wild und planlos nach einem Wärter. Aber der Wärter versteht sein Handwerk und weiß, wie er den Jungen an Knöchel und Wade packen muß, um mit seinem Körpergewicht das Bein wieder fest nach hinten an den Eichenstuhl zu drücken, wo er dann schnell das Schienbein mit dem Lederriemen festschnallt.
Die Hitze und die Feuchtigkeit im Raum sind nahezu unerträglich. Ich rieche meine eigenen Körperausdünstungen und den Schweiß in den Kleidern der Leute um mich herum. Die Mutter des ermordeten Mädchens blickt jetzt zu Boden, einen weißen Knöchel gegen die Zähne gepreßt. Niemand sagt ein Wort, und ich höre den Atem des Jungen, der japsend durch seine Kehle geht. Seine Augen sind blutunterlaufen und weit aufgesperrt, der Mund zittert, und der Hals ist vor Angst und Blut so angeschwollen, daß er so
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