Flamingo (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
die Hand auf eine heftig blutende Wunde an seiner Kehle gepreßt. Seine Schultern zuckten konvulsivisch, als ob er versuche, sich einen eisernen Haken aus der Brust zu reißen. Er versuchte mit den Fingern nach Boggs’ Hosen zu greifen, als dieser an ihm vorbeirannte. Der Rücken von Lionels Hand war dunkelrot und glänzte im Licht des Feuers. Aber es gelang Boggs, das Haltetau freizumachen, und er sprang von der Reling am Heck auf den Bug seines Bootes, warf den Motor in Sekundenschnelle an, drehte das Gas voll auf und verschwand auf dem Rücken einer brechenden Welle mit einem Satz im Nebel.
Ich hielt mich über Wasser und wurde von meinem Boot abgetrieben. Es brannte jetzt lichterloh, vom Heck bis zum Bug, und als das Ankerseil durchbrannte, trieb es seitwärts auf den Wogen, und eine große Welle krachte gegen das Steuerhaus und verwandelte sich auf der Stelle in Dampf. Das Wasser war kalt und roch nach Öl und Benzin. Weiter hinten hörte ich, wie sich die Motorengeräusche von Boggs’ Kajütenboot und dem Polizeiboot, das ihn verfolgte, immer weiter entfernten. Ich versuchte, meine Kräfte zu schonen und auf dem Rücken zu treiben, aber jedesmal, wenn mich eine Welle hochtrug, bekam ich Wasser in Mund und Nase, und ich mußte meinen Kopf anders halten und wieder mit Händen und Füßen paddeln.
Es war Flut, und gegen die Strömung würde ich es nicht zu der Bohrinsel schaffen. Die Küstenwache war zwar irgendwo da draußen, aber die waren vermutlich damit beschäftigt, das Fischerboot aufzubringen. Mein Boot war jetzt nur noch ein rotes Glimmern im Nebel. Ich hörte ein weiteres lautes Zischen, ein Geräusch, wie wenn Wasser kocht, das Herausbrodeln von Luftblasen und der zischende Dampf, der von heißem Metall aufsteigt; dann erlosch das rote Glimmern, und die Nebelwand war vollkommen weiß.
Ein paar Minuten später begann es wieder zu regnen. Der Regen tanzte auf dem Wasser, trommelte auf meinem Schädel, schlug gegen meine Ohren. So kommt also der Tod, dachte ich. Da sind die Feinde deiner Träume: die Spielzeugmännchen in Schwarz, die selbst in deinem Schlaf aus dem Mund nach Fisch stinken; der psychopathische Kindermörder, der dir einen Eispickel ins Gehirn jagen wollte; der Profikiller aus Las Vegas, der dich mit Handschellen an ein Leitungsrohr fesselte, dir den Mund zuklebte und dir mitfühlend darlegte, wie er dich zu exekutieren gedachte, während du hilflos auf die weißen Lichtfäden in seinen leeren blauen Augen starrtest. Doch von ihrer Hand wirst du den Tod nicht empfangen. Statt dessen gleitest du in ein kaltes grünes Grab unter den wogenden Wellen; die Strömung wird dich am sandigen Untergrund des Golfmeeres entlangschleifen, von deinen Kleidern werden letzte Luftblasen zur Wasseroberfläche aufsteigen, und deine Augen werden ein Festmahl für Krabben und Aale abgeben.
Dann verzog sich der Nebel allmählich auf dem Wasser, bis nur noch kleine, unruhige Fetzen davon übrig waren, die knapp über den Wellen schwebten, und der Himmel im Osten wurde grau. Ein weiches Licht in der Farbe von Rosen durchbrach den Horizont, und zum ersten Mal in dieser Nacht sah ich den Mond, der im ersten Viertel stand. In etwa fünfzig Meter Entfernung trieb ein runder Gegenstand in der Dünung. Es sah aus wie der Rücken einer riesigen Meeresschildkröte. Ich schwamm darauf zu, immer nur ein kräftiger Schwimmzug, nach der Seite atmend, Wasser aus der Nase prustend, bis meine Hand schließlich die Schwimmweste berührte, die um die Brust von Ray Fontenot geknüpft war.
Ich mußte ihn umdrehen, um sie aufzubinden. Sein Körper war voll mit Seetang, die Haut voller gräßlicher Brandwunden und mit Öl beschmiert, die blinden Augen im Kopf nach oben gedreht. Ich schaffte es, die Weste freizubekommen, und steckte meine Arme durch die Öffnungen und spürte, wie der Schmerz und die Anspannung aus meinem Kreuzbein wichen, als es nicht mehr länger die Last meines Körpers tragen mußte. Unruhig schaukelnd wurde ich von einer Welle davongetragen, die mich der Küste von Louisiana näherbrachte.
Für eine kurze Zeit schlief ich ein, erwachte dann und hörte Seemöwen, sah die Schatten von Pelikanen, die über mir dahinglitten, roch den schweren, süßlichen Geruch, der von einem Schwärm Salzwasserforellen ausgeht. Die Morgensonne stand wie eine rote Oblate über dem endlos dahinwogenden grünen Golfmeer.
Fünf Minuten später hörte ich einen Außenbordmotor, und ich streckte die Arme aus, um mich in den
Weitere Kostenlose Bücher