Flamingos im Schnee
packte das Auto, und sie sollten in zehn Minuten reisefertig sein. Sie waren drei Tage länger in Hoboken geblieben als geplant und hatten die Nachbarschaft nach Tweety durchkämmt, jedoch ohne Glück.
»Wer hat den ganzen Sirup verbraucht?«, schnaufte Nana, die den Kopf in den Kühlschrank gesteckt hatte und nun die Tür zuknallte.
»Ca-«, setzte Perry an, aber Cam durchbohrte sie mit einem Blick, der hieß: Wag es ja nicht, mich hier anzuschwärzen, Kleine , und weil Perry immer noch versuchte, den Verlust von Tweety wiedergutzumachen, sagte sie stattdessen: »Ich war’s, Nana, tut mir leid.« Sie duckte sich und legte die Arme schützend über den Kopf, als ihre Oma ein Geschirrtuch nach ihr warf.
»Ihr fresst mir noch die Haare vom Kopf«, schimpfte Nana und setzte sich verärgert an den Tisch, ohne sie beide anzusehen. »Dann trinke ich halt nur dieses kleine Glas Grapefruitsaft, mehr habt ihr mir ja nicht übrig gelassen.«
»Prost«, sagte Cam und wollte mit ihr anstoßen, doch Nana starrte zum Fenster über der Spüle hinaus und beachtete sie nicht.
»Wo ist eure Mutter?«, fragte sie kurz darauf. »Sagt bloß nicht, ihr zwei Faulpelze lasst sie alles allein packen.«
»Sie macht das lieber selbst«, erklärte Perry, und Cam grinste spöttisch, weil Perry immer noch nicht kapiert hatte, wann sie den Mund halten musste. Sie wartete darauf, dass Nana explodierte. Drei … zwei … eins …
»Eure Mutter muss aber auch alles allein machen. Ihr könntet ihr wenigstens dabei helfen, eure zwei Koffer im Kofferraum zu verstauen. Sie reißt sich ein Bein für euch aus, und was tut ihr? Undankbares Pack. Jawohl, das seid ihr, ein undankbares Pack. Man soll nie Kinder bekommen, denn so wird man dann von ihnen behandelt.«
»Mal langsam, Nana«, erwiderte Perry, »sie macht es wirklich lieber allein.«
O Perry , dachte Cam, sei endlich ruhig .
Dabei stimmte es natürlich. Alicia hatte so ihre festgefügten, neurotischen Vorgaben, wie der Kofferraum am effizientesten zu packen war, und hielt sich sklavisch daran. Doch darum ging es hier nicht. Wenn Nana am Toben war, musste man ihr aus dem Weg gehen, da half alles nichts.
Cam beobachtete, wie ihre Großmutter einen Schluck Grapefruitsaft trank und ihre wässerigen Augen schmal wurden, während sie Perry anstarrte und über ihren nächsten Schritt nachdachte. Cam sah es kommen, doch noch ehe sie ihre Schwester warnen konnte, kippte Nana ihr den Inhalt des gar nicht so kleinen Glases ins Gesicht.
Die rosa Flüssigkeit beschrieb einen Bogen in der Luft und landete mit einem Platsch auf Perrys Stirn. Perry keuchte überrascht auf; ihre Ponyfransen trieften und klebten an ihrem Kopf. Sie wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte, aber weil sie eine schlechte Woche gehabt hatte und alle ihr die Schuld an Tweetys Flucht gaben, weinte sie erst einmal. Das sah so lächerlich aus, dass Cam zu lachen anfing, und dann fing Nana an zu lachen, bis sie schließlich alle drei zugleich lachten und weinten und das Eis gebrochen war.
Cam reichte Perry eine Serviette über den Tisch, wobei ihre Ärmel nach oben rutschten. Sie zog sie hastig wieder herunter, aber es war schon zu spät.
»Was ist das?«, wollte Nana wissen. In den letzten drei Tagen waren die Blaubeerflecken schlimmer geworden. Cams rechter Unterarm war mit hässlichen violetten Blasen von der Größe eines Zehncentstücks übersät, die von dem unaufhaltsamen Fortschreiten der Krankheit und deren ehrgeizigem Plan, ihren ganzen Körper zu erobern, kündeten.
»Was?«, fragte Cam nur und steckte ihre Daumen wieder durch die Löcher, die sie in die Bündchen ihres Sweatshirts gebohrt hatte, um die Ärmel unten zu halten.
»Frag nicht so blöd. Du weißt, was ich meine. Diese Dinger da an deinem Arm.«
»Insektenstiche«, antwortete Cam.
»Solche Insekten haben wir nicht in Hoboken.«
»Tja, du warst ja auch nicht auf dem Zauberbaum«, erwiderte Cam.
»Campbell, solltest du das nicht untersuchen lassen?«
Cam zuckte nur die Achseln. »Los geht’s«, sagte sie. »Mom ist inzwischen sicher fertig mit Packen.«
Alle drei gingen sie die schmale, holzverkleidete Treppe zur Diele hinunter. Cam voran, dann Nana, dann Perry, die hinterherzockelte und etwas in ihr braunes Notizbuch von Izanagi schrieb. »Wunder Nummer dreizehn«, sagte sie. »Nana bringt uns zur Tür.«
»Ja, genau, wieso bringst du uns zur Tür?«, fragte Cam. Normalerweise zog sich Nana nämlich, nachdem sie einen Wutanfall vorgetäuscht
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