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Flamingos im Schnee

Flamingos im Schnee

Titel: Flamingos im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wendy Wunder
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hatte, in ihr Schlafzimmer zurück, ohne sich von ihnen zu verabschieden.
    »Will nur sichergehen, dass ihr auch abhaut«, murmelte Nana.
    Es war ein herrlicher Tag. Ihr lächerlicher Schleppzug nahm zwei markierte Parkplätze in der Church Street ein. Alicia wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn, sah aber sehr zufrieden aus. Alles war gut verstaut.
    »Dann mal los«, sagte sie. »Tschüss, Ma.« Sie umarmte ihre Mutter, ohne zu bemerken, wie ungewöhnlich es war, dass Nana es tatsächlich aus dem Haus geschafft hatte, um sich von ihnen zu verabschieden.
    Auch Perry umarmte ihre Großmutter. Nana entschuldigte sich wegen des Safts.
    »Jetzt bist du wohl dran«, sagte Nana dann zu Cam, woraufhin die beiden sich wie Ringer umkreisten.
    »Sieht so aus.«
    »Willst du, dass wir bloß die Fäuste aneinanderstoßen so wie Jungs?«, fragte Nana und hielt ihr die Faust unter die Nase.
    »Du darfst mich ruhig umarmen, wenn du willst«, sagte Cam.
    Nana nahm sie fest in die Arme, und Cam schluckte die Tränen hinunter. »Es wird alles gut mit mir, Nana.«
    »Das weiß ich schon. Du hast mich gefragt, woran ich glaube: Ich glaube daran, dass mit dir alles gut wird.« Nana drückte sie noch einmal an sich. »Jetzt geh. Ich muss mit meiner zehntägigen Heulerei anfangen.«

Z EHN
    Sie saßen wieder in ihrem Vagina-Zug und fuhren Richtung Norden. Cam vermisste Lily. North Carolina lag schon seit einigen Tagen hinter ihnen, und noch immer kreisten ihre Gedanken um den Satz: Er benutzt dich nur . Das war vielleicht ein bisschen hart gewesen, genauso wie das Wort verzweifelt . Am liebsten hätte sie alles zurückgenommen.
    Sie fuhren an einem blauen Schild nach dem anderen vorbei, Werbung für die Fastfood-Angebote an der jeweiligen Ausfahrt. Cam wurde immer noch leicht hibbelig, wenn sie ein gutes Schild sah, eines mit vier oder mehr Restaurants an einer Ausfahrt – ein Überbleibsel aus ihren Tagen übermäßigen Essens. Doch schon bei dem Gedanken daran, etwas von diesem Müll in sich hineinzustopfen, drehte sich ihr jetzt der Magen um. Sie hatte einen metallischen Geschmack im Mund, ihr war übel, und obendrein schoss so ein komischer Schmerz von ihrem Unterkiefer seitlich in ihren Hals hinein. Sie wünschte, sie könnte sich einfach übergeben und dann besser fühlen.
    Nachdem sie New Jersey und Connecticut hinter sich gelassen hatten, löste sich die Einkaufscenter-Landschaft am Straßenrand zum Glück allmählich auf, bis sie zu beiden Seiten nur noch Wald umgab. Abgesehen von der Zeit im Sommerlager war Cam noch nie ringsum von Wald umgeben gewesen. Sie spähte durch die Bäume und machte Schnappschüsse mit den Augen von urzeitlichen, erodierten Felswänden und der Ruine eines alten Schornsteins, der nach einem Hüttenbrand noch stand. Danach schien der Wald immer dunkler und dichter zu werden, bis sie kaum noch zwischen den Bäumen hindurchschauen konnten. Es war wie bei Hans Christian Andersen, märchenhaft und, wie Cam zugeben musste, ein bisschen verwunschen, als könnten sich Feen und Kobolde zwischen den Pilzen verstecken oder Ungeheuer in Höhlen lauern. Das war, bevor sie wieder nach vorn blickte und fünf wunderschöne Sattelschlepper mit langen, abgeholzten Baumstämmen sah, die südwärts zur Papierfabrik fuhren. So viel zu verwunschen , dachte sie.
    Ihre Mom rollte über die perfekte Sinuskurve vor der Mautschranke an der Grenze zu Maine. Es war, als würden sie über den buckeligen Rücken einer Riesenseeschlange fahren.
    Perry wackelte mit dem Kopf und sang lautlos einen klimpernden Song von Taylor Swift mit. Ihre Mom hatte Perry ebenfalls ein neues Smartphone gekauft, als sie das für Cam besorgte, damit es keinen Streit gab – was Cam stinksauer gemacht hätte, wäre sie nicht so krank gewesen. Aber das war der Vorteil, wenn man starb, man tat die kleinen Ärgernisse mit einem Achselzucken ab. Sollte Perry doch ihren Spaß haben mit Taylor Swift. Auch wenn sie Tweety hatte entfleuchen lassen.
    »Hier muss es sein«, rief Alicia nach hinten. Obwohl es noch taghell war, beleuchtete eine Straßenlampe das knollenförmige, pink- und orangefarbene Logo von Dunkin’ Donuts, das mitten auf dem Schild für die Ausfahrt Nr. 33 prangte. Ausfahrt 33 bot anscheinend keine einzige andere Serviceeinrichtung. Keine Tankstelle. Kein Motel. Keine besonderen Attraktionen. Nur das Dunkin’ Donuts.
    »Hast du nicht gesagt, es wäre schwer zu finden?«, fragte Cam und blickte über die Ausfahrtrampe

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