Flamingos im Schnee
panisch darauf reagiert, allein auf einer Party aufkreuzen zu sollen, aber jetzt war sie noch voller Euphorie von ihrem Trip mit der Seilrutsche. Sie kletterte über ein paar große Felsbrocken und sah zum Strand hinüber, wo einige Jugendliche, vorwiegend Jungen, im Kreis saßen und verschiedene Schlaginstrumente spielten, während andere, vorwiegend Mädchen, barfuß im Sand dazu tanzten und umherwirbelten. In der Mitte brannte ein Feuer. Cam hätte es nicht gerade als Strandfeuer bezeichnet, aber es war ein Feuer. Links ragte der Leuchtturm mit seinen breiten roten und weißen Streifen über ihnen auf.
Sie sah sich nach dem Bierfass um, aber es schien keines zu geben. Die Leute waren anscheinend allein vom Trommeln und Tanzen so in Ekstase geraten, denn sie sah niemanden, der trank. Das erinnerte sie an damals, als ihre Mom so einen absurden Bericht in einem Elternblog entdeckt hatte, in dem davor gewarnt wurde, dass junge Mädchen sich heimlich einen Rausch holten, indem sie ihre Tampons mit Wodka tränkten.
»Campbell, machst du das auch?«, hatte Alicia gefragt.
»Klar, Mom, ich mache mich ständig mit Wodka dicht«, hatte sie grinsend gesagt, stolz auf das Wortspiel.
Sie hatte keine Lust gehabt, ihrer Mutter zu erklären, dass die elterliche Phantasie alles bei Weitem übertraf, was Teenager sich so ausdachten. Kein Mädchen, das sie kannte, war so abgedreht, ihren Tampon mit Wodka zu tränken. Es sei denn, diese wirbelnden Mädchen hier waren deshalb so gut drauf.
Cam fand einen Pfad um die Felsen herum und sprang hinunter in den Sand. Näher am Feuer war es wärmer. Sie setzte sich auf einen Stein und sah eine Weile zu, ließ den Rhythmus der Trommeln auf sich wirken, schloss die Augen und wiegte sich vor und zurück.
Auf einmal wurde sie von rauen, dünnen Fingern überrascht, die nach ihrer Hand griffen und sie von dem Stein hochzogen.
»Du kannst tanzen«, sagte ein Mädchen mit blonden Haaren, die ihr in wirren, ungewaschenen Strähnen bis zur Taille hingen. Sie hatte ein cremeweißes Maxikleid an, das am Saum schlammverkrustet und bis zu den Knien vom Meerwasser durchnässt war. Um den einen Fußknöchel trug sie ein Makrameeband, was zu den Dingen gehörte, die Cam normalerweise nicht tolerierte. Aber dieses Mädchen verkörperte ein Blumenkind so durch und durch und war so biegsam und anmutig, als wäre es wirklich von Blumen gezeugt worden. »Das sehe ich.«
Cam sagte nichts darauf, ging aber mit ihr ans Feuer, um zu tanzen.
»Wie heißt du?«, fragte Cam.
»Was?«
» Como se llamas ?«
»Ach so, Sunny!«, antwortete sie und lächelte verträumt, als würde der Klang ihres eigenen Namens sie selig machen. Dann tanzte sie mit geschlossenen Augen weiter.
Auf den Namen hätte Cam glatt selbst anhand des kleinen Sonnentattoos an ihrem anderen, nicht makrameeverzierten Knöchel kommen können. Sunny passte perfekt zu ihr – und konnte sogar eine Farbe aus Land’s End sein.
Cam gab sich ganz der Musik hin und ließ sich von ihr einhüllen wie von einer Luftblase. Innerhalb der Musik gab es keinen Krebs. Keine Verlegenheit. Keine Schmerzen. Keine Verlassenheit. Keine Flamingoliste. Innerhalb der Musik, selbst in diesen primitiven Rhythmen, fühlte sie sich frei.
Sunny schien ihre Art zu tanzen gutzuheißen, denn sie machte hin und wieder die Augen auf, um sie anzusehen, und nickte ihr dann zu.
Nach einer Weile spürte sie zu ihrem Erstaunen wieder dieses vertraute Brennen, das von ihrer Krankheit herrührte. Seit der Ankunft in Maine hatte es sich nicht mehr bemerkbar gemacht. Es war schwer zu beschreiben, aber es fühlte sich an, als würde jede einzelne ihrer Körperzellen siechend vor sich hin schwelen. Sie wusste nicht, ob dieses toxische Gefühl von dem Krebs selbst herrührte oder von all den Chemikalien und der Strahlung, mit denen man sie behandelt hatte, aber es gab Momente, in denen sie sich einfach vergiftet fühlte, giftgrün, säureverätzt. Ganz das Gegenteil von diesem reinen, biodynamischen Mädchen, das sich neben ihr drehte.
Sie tippte Sunny auf die Schulter und fragte: »Gibt es hier irgendwo Wasser?« Dazu mimte sie, aus einem Becher zu trinken, falls Sunny sie nicht hörte.
»Hier drüben.« Sunny führte sie zu einem Wasserspender auf der anderen Seite des Feuers. Der Wasserspender, ein großer, orangefarbener Behälter wie die, aus denen Sportler früher gern Gatorade, dieses isotonische Getränk, auf ihre Trainer schütteten, stand hinter einer Felswand. Cam hielt
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