Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Flamingos im Schnee

Flamingos im Schnee

Titel: Flamingos im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wendy Wunder
Vom Netzwerk:
bezüglich der Liste enthielten nicht gerade die positiven Schwingungen, die ihre Freundschaft retten würden. Cam wand sich innerlich, als ihr Lilys letzte Worte wieder in den Ohren klangen. Ich muss mich mit positiver Energie umgeben. Ich möchte, dass du mich in Ruhe lässt.
    Entschlossen packte sie das Foto in einen wattierten Umschlag und schrieb keinen Absender darauf. Sie würde es Lily noch heute zurückschicken.
    »Mom, ich bringe Tweety zum Tierarzt«, rief sie, als sie die Treppe herunter war. »Gibt’s hier eigentlich so was, oder nehmen die Tiere Wunderheilungen an sich selbst vor?«
    »Werd nicht frech. Ich glaube, ich habe eine Praxis in der Cedar Street gesehen«, rief ihre Mutter aus dem Esszimmer zurück, wo sie angestrengt versuchte, mit der antiken Nähmaschine, die sie im Souterrain gefunden hatte, zurechtzukommen.
    Cam hakte Tweetys Käfig von dem Ständer im Wohnzimmer los und fand die Autoschlüssel in der Tasche ihres Hoodies.
    »Warte! Nimm mich mit zum Straaa- «, hörte sie Perry noch quengeln, als sie die große Haustür mit dem Libellentürklopfer hinter sich schloss.
    Cam war gereizt. Wortwörtlich. Es war heiß, sie fand die Tierarztpraxis nicht, und da unten brannte es, was vermutlich normal war nach dem, was da unten am Freitagabend durchgemacht hatte, aber trotzdem ein wenig beunruhigend. Nach der dritten Runde durch die Stadt fiel ihr Sunny ein und deren Theorie, dass man Dinge durch Gedanken anziehen konnte. Ich werde die Tierarztpraxis finden , dachte sie, und bei der nächsten Runde um den Block stand sie auch schon davor. Eine rote Scheune mit einem Silo und einem Postlieferwagen davor. Ein Esel stand in einem weißen Pferch, und auf einem alten weißen Schild stand: E LAINE W HITTIER. Darunter schwangen gleich fünf Geschäftsschilder: V ETERINÄRIN. B IBILIOTHEKSLEITERIN. P OSTSTELLENLEITERIN. S HERIFF. A NTIQUITÄTENHÄNDLERIN.
    » Was gibst du ihm zu fressen?«, fragte Elaine Whittier, während sie Tweety untersuchte. Sie war um die sechzig und hatten diesen Look einer selbst ernannten Feministin aus den Siebzigern. Lange graue Haare, baumelnde Federohrringe und eine königsblaue Kaftanbluse, die den offenbar zwingend dazugehörenden Altersbauch kaschierte. Um ins Untersuchungszimmer zu gelangen, musste man durch Elaines Haus gehen, das mit jeder Menge Kiefernholz eingerichtet war. Pfosten und Leisten aus Kiefernholz, Kiefernholzstühle mit kratzigen braunen Sitzpolstern, Kiefernholzböden und Kiefernholztafeln an den Wänden, auf die mit Lackfarbe kitschige Sprüche wie H OME SWEET H OME gepinselt waren.
    »Äh, ich glaube in letzter Zeit stand öfter ein Nachtisch aus Papaya auf seinem Speiseplan«, sagte Cam.
    »Er ist extrem übergewichtig.«
    Cam gefiel diese Frau. Sie nahm kein Blatt vor den Mund.
    »Hast du gehört, Tweets? Keine Papaya mehr.« Sie musste laut sprechen, um die Kakophonie aus Tierlauten im Zimmer zu übertönen. Elaine schien nicht besonders wählerisch bei ihren Patienten zu sein. Neben den üblichen Katzen und Hunden befanden sich in den Käfigen und Terrarien ringsum Einsiedlerkrebse, Taranteln, Leguane, Frettchen und – »Ist das eine Bisamratte?«, fragte Cam, als sie den glänzenden schwarzen Nager mit den großen Pfoten sah.
    »Sie ist auch ein Geschöpf Gottes.« Elaine hob Tweetys einen Flügel an und tastete die Drüsen darunter ab. »Was führt dich nach Promise?«
    »Ich bin krank«, antwortete Cam. Sie nahm sich ein Beispiel an der direkten Art der Tierärztin, aber es war trotzdem seltsam, diesen einfachen Satz aus ihrem eigenen Mund zu hören. Eigentlich bedeutete es geradezu eine Erleichterung, es jemand Fremdem zu sagen. Sie war krank.
    »Das ist nicht schön«, erwiderte Dr. Whittier.
    Cam gefiel diese Antwort. Keine Fragen. Kein Leugnen. Kein »Dir geht es bestimmt bald wieder besser«. Nur: »Das ist nicht schön.« Und so war es. Es war schlichtweg nicht schön.
    »Und was machst du so?«, fragte die Ärztin, während sie Tweety sanft mit hohlen Händen nahm und ihn in den Käfig zurücksetzte.
    »Machen?«
    »Außer krank zu sein. Was tust du?«
    »Im Moment stecke ich all meine Energie da rein«, scherzte Cam.
    Dr. Whittier grinste schief. Sie hatte das gleiche Grübchen neben dem linken Mundwinkel wie Asher. »Eine Frau muss viele Hüte tragen. Das liegt in unserer Natur. Wir können von Natur aus mehrere Dinge gleichzeitig tun. Hier, kannst du Bart mal für eine Sekunde halten?« Sie drückte den weichen, schweren Bauch

Weitere Kostenlose Bücher