Flamingos im Schnee
eines Bernhardinerwelpen in Cams Hände. Seine warmen Hautfalten legten sich um ihre Finger. Sie hielt ihn hoch, damit sie ihm in die schwermütigen braunen Augen sehen konnte.
»Ich könnte hier arbeiten, schätze ich«, murmelte Cam. Der Welpe leckte ihr einmal über die Wange, als brächte er zu mehr nicht die Kraft auf.
»Was?«, sagte die Ärztin und klopfte an eine Spritze, um die Luftblasen entweichen zu lassen. »Halt ihn fest.« Sie zog eine Hautfalte an Barts Hals zur Seite und stach die Spritze hinein. Bart kuschelte seinen Kopf in Cams Armbeuge, und sie drückte ihn sanft an sich.
»Ich habe gesagt, ich hätte nichts dagegen, hier zu arbeiten, falls Sie Hilfe gebrauchen können.«
»Du scheinst keine Scheu vor Spritzen zu haben, was bedeutet, dass du bei einem Notfall einen kühlen Kopf bewahren würdest«, stellte Elaine fest. »Und du scheinst Tiere zu mögen. Das sind die einzigen Anforderungen für den Job. Aber du darfst dein Herz nicht zu sehr an sie hängen, vor allem nicht an Bart. Er ist der Kümmerling aus einem großen Wurf und kommt vielleicht nicht durch.«
»Ich bin der kühle Kopf in Person«, sagte Cam, was meistens stimmte, aber sie wusste, dass sie sich schon rettungslos in Bart verliebt hatte. Wie auch nicht: weich, Welpe, knuffiger Bauch. Er war unwiderstehlich.
»Prima! Ich muss jetzt die Post ausfahren. Wenn ich auch nur fünf Minuten zu spät komme, kriegt Mr. Griffith einen Panikanfall. Er bekommt zwar nie was anderes als die Wurfsendung vom Supermarkt, aber darauf freut er sich wie verrückt. Kannst du so lange auf Bart aufpassen?«
»Sie teilen auch die Post aus?«
»Ja. Viele Hüte, du weißt doch. Jedenfalls würde es mich wundern, wenn unser kleiner Freund hier die Nacht übersteht. Falls es ihm morgen nicht besser geht, werde ich ihn wohl von seinen Schmerzen erlösen müssen.«
»Von seinen Schmerzen erlösen? Was soll das heißen?«
»Ihn einschläfern, Campbell. Er leidet sehr.«
»Er wird es schaffen«, behauptete Cam. »Wir haben einen kleinen Pakt geschlossen, er und ich.« Was nicht ganz stimmte, aber sie würde das gleich nachholen.
Ehe Elaine ging, holte Cam noch schnell ihre Kuriertasche aus der Diele, zog den Umschlag heraus und gab ihn ihr. »Würden Sie das bitte für mich abschicken?« Sie musste schlucken, als sie das letzte Unterpfand ihrer Freundschaft mit Lily aus der Hand gab.
So fühlte sich ein gebrochenes Herz an. Eigentlich nicht wie ein Riss mitten hindurch, sondern eher, als hätte sie es als ganzes verschluckt, sodass es nun verletzt und blutend in ihrer Magengrube lag.
Cam ging zurück ins Untersuchungszimmer und nahm den Welpen, der in Babydecken eingewickelt war und reglos bis auf sein mühsam schniefendes Atmen auf einem Hundebettchen lag, in den Arm.
Sie setzte sich auf die kalten Bodenfliesen und ließ Bart in ihrem Schoß ruhen, kraulte ihn an der Stelle, wo Schnauze und Stirn ineinander übergingen. Sie und ihre Mutter hatten zahllose Nächte so verbracht, an die Wanne gelehnt, auf den Badezimmerfliesen hockend, die ihren fieberheißen Körper kühlten, während sie auf den nächsten Kotzanfall wartete.
Ihre Mom hatte ihr die Stirn gestreichelt, und wenn sie zum siebzehnten oder achtzehnten Mal gekotzt und nur noch tropfenweise Galle in die Toilette gewürgt hatte, sagte Cam: »Ich will sterben, Mom. Bitte lass mich einfach sterben.«
Darauf sagte ihre Mom: »Ich schlag dir eine Abmachung vor, Campbell Maria. Du stirbst nicht, und dann machen wir morgen etwas besonders Schönes.«
»Erzähl mir, was wir morgen machen, wenn das hier vorbei ist«, flüsterte Cam dann.
Ihre Mutter zählte daraufhin im Einzelnen auf, was an ihrem allerschönsten Tag alles Tolles passieren würde. Es war immer etwas anderes und immer lebhaft geschildert, sodass Cam es sich vorstellen und sich darauf freuen konnte.
»Morgen werden wir in einem Heißluftballon über die Everglades fliegen«, versprach sie.
»Schöne Idee«, seufzte Cam.
»Nein, das machen wir wirklich. Wir steigen in den Korb eines Ballons in Regenbogenfarben, zusammen mit einem Park Ranger oder Ballonfahrer. Und du wirst dich ihm total überlegen fühlen und ihn mit Fragen über den ökologischen Erhalt der Everglades löchern, während er uns hinaus übers Wasser fliegt und versucht, uns auf all die hübschen Blumen aufmerksam zu machen.«
»Großartig.«
»Und dann gibt’s Mittagessen mit Bubble Tea.«
»Red nicht von Essen«, sagte Cam und fing wieder an, über der
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