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Flamingos im Schnee

Flamingos im Schnee

Titel: Flamingos im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wendy Wunder
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Katalogmodell, gab Cam schlaff die Hand und kicherte ein »Enchantée«, bevor sie sich neben ihn fallen ließ und ihm unhöflich etwas ins Ohr flüsterte.
    Bleib cool , ermahnte Cam sich. Ich bin vollkommen kühl und unbeteiligt . Dieses Mantra sang sie sich auf der ganzen Fahrt zu den Flamingos vor, aber der Kloß in ihrem Hals wurde nur größer und löste sich schließlich zu einer Träne auf, die ihr aus dem Augenwinkel entwischte. Sie hätte nie gedacht, dass ihr das einmal passieren würde, aber sie bekam langsam Heimweh.
    Alle fünf kletterten sie aus Cumulus und gingen mit großen Schritten durch das Kreuzkraut auf dem Feld hinter der Schule. Autumn steckte sich ein Gänseblümchen ins Haar, und Royal kaute an einem Grashalm. Als würden sie gerade in einem Musikvideo mitspielen , dachte Cam. Sie waren so ekelhaft jung und gut aussehend und – bis auf ihren eigenen kleinlichen Groll, weil sie gerade ihre Unschuld an das Arschloch verloren hatte, das direkt neben ihr mit seiner Freundin knutschte – unbekümmert.
    Sie hielt sich ein paar Schritte hinter den beiden Paaren, das fünfte Rad am Wagen, aber Sunny lief zu ihr zurück, hakte sich bei ihr unter und zog sie mit zur Gruppe. »Gleich wirst du Augen machen, Samoa«, sagte sie.
    Was sie sah, als sie oben auf der Anhöhe ankamen, bewirkte tatsächlich, dass sie Alec fürs Erste vergaß.
    Es war, als würde sich Flamingolava, flüssiges Pink, die einem riesigen, leuchtenden, orangerosa Füllhorn entströmte, über die ganze Senke ergießen. Sie waren wie ein einziger großer Organismus, aber als sie näher herankamen, hörten sie die unterschiedlichen Rufe einzelner Vögel und sahen die Tausende von dürren Beinen und knubbeligen Knien, die das innere Gerüst des Schwarms bildeten.
    »Ist Rosa nicht die friedvollste Farbe im Universum?«, schwärmte Sunny. Sie saßen alle fünf nebeneinander auf der obersten Querlatte eines alten Holzzauns und sahen zu, wie die Vögel den Schlick nach den blaugrünen Algen und Krabben durchsiebten, die ihre einzige Nahrung waren.
    Cam war froh, dass die Frage keine Antwort erforderte. Rosa! Rosa war die Farbe von Windpocken, Pickeln, blutunterlaufenen Augen, einer Spritze voll Knochenmark, ihrer Pipette mit flüssigem Morphium, Alecs Zunge. Viele grässliche Dinge waren rosa. Und die Flamingos waren zwar von einem phantastischen feurigen Rosa, aber keineswegs friedvoll. Ständig hackten sie aufeinander herum wie die gelangweilten Pensionäre in ihrer Heimat Florida.
    Cam saß zwischen den beiden Paaren, Alec rechts neben ihr. Er sah sie verstohlen von der Seite an und streifte absichtlich ihren kleinen Finger mit seinem, um sie dann wieder wie Luft zu behandeln, sobald Autumn kichernd etwas sagte. Cam hasste ihn.
    Trotzdem wünschte sie verzweifelt, dass er sie begehrte. Jetzt verstand sie endlich das postkoitale Syndrom bei Jugendlichen: Pärchen hat Sex. Mädchen wird untypisch anhänglich, Junge fühlt sich eingeengt, Junge stößt Mädchen weg. Cam wollte cooler sein. Sie wollte sich dem Bedürfnis zu klammern nicht beugen. Der Verzweiflung. Blöd war nur, dass sie das Gefühl hatte, als hätte Alec ihr etwas gestohlen, auch wenn sie es ihm freiwillig gegeben hatte, und nicht einsah, dass er ungestraft davonkommen sollte.
    Sie sprang vom Zaun und spazierte am Rand des Vogelschwarms entlang.
    Ein paar der glücklichen Bürger von Promise waren ebenfalls zur Schule herübergeschlendert, um sich die Flamingos in aller Ruhe anzusehen, aber niemand machte Fotos von ihnen oder »viel Aufhebens«, wie ihre Großmutter sagen würde. Das Baseballspiel der Little League ging ohne Unterbrechung auf dem Spielfeld am anderen Ende der Wiese weiter. Die Kinder auf dem Schulhof rannten, statt zu den Flamingos hinzuströmen, schreiend auf den Eiswagen zu, der gerade auf dem Schulparkplatz hielt. Niemand hatte auch nur die Lokalzeitung benachrichtigt. Was Cam doch ein wenig erstaunte.
    Nicht, dass sie hier an ein Wunder dachte. Weit davon entfernt. Das wahre Wunder bestand ohnehin darin, dass ein Vogel so groß und prachtvoll werden konnte, obwohl er sich vorwiegend von Mikroorganismen ernährte. Dass die Flamingos hierher geflogen waren, hatte bloß wieder mit dem Zugvögelkram zu tun. Sie waren schlichtweg auf der Suche nach vulkanischem Schlamm.
    Cam beobachtete die Vögel noch ein Weilchen und begann bereits, ihres Geschreis und Gehackes und Gepickes müde zu werden, als zwei von ihnen ein Stück zur Seite gingen und den Blick auf

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