Flamme der Freiheit
Feldwebels. Dieser Auffassung schien auch Graf Wilhelm zu sein.
»Tochter … preußischer Soldat … ehrenhafter Mann …«, konnte Eleonora seinem Gebrummel entnehmen. Er schien ein ganzes Stück weiter entfernt vom Aufzugsschacht zu stehen, im Gegensatz zu seiner Gattin. Als diese nun fortfuhr, hatte Eleonora das Gefühl, sie würde ihr jeden Moment aus dem Schacht entgegenfallen.
»Ich werde es nicht dulden, dass sie sich weiter in unserem Haus so breitmacht. Hast du gesehen, was sie Alexander für schöne Augen gemacht hat, ausgerechnet nach der Trauerfeier unserer geliebten Dorothea!« Gräfin Elisabeth versuchte einen dramatischen Schluchzer hervorzubringen. Durch den Schacht klang es mehr wie ein Schluckauf. Dennoch wurde Eleonora bei dieser Behauptung bereits übel.
Graf Wilhelm schwieg, aber Eleonora wusste genau, wie er jetzt aussah. Mit einer Mischung aus Erstaunen und Verblüffung starrte er seine Frau an, um dann beschämt den Kopf sinken zu lassen, weil ihm als Mann zum wiederholten Male ein ganz wichtiges Geschehen völlig entgangen war.
»Gut, dass wir ihr die Musikstunden schon vor Wochen gestrichen haben«, fuhr Gräfin Elisabeth schrill fort. »Nein, nein, es ist mir egal, dass Schilling das zutiefst bedauert. Ich will auch nicht, dass er sie honorarfrei unterrichtet. Sie soll überhaupt nicht mehr unterrichtet werden.« Die Stimme überschlug sich fast. »Und sie wird auch meinen Sohn nicht heiraten, niemals! Das werde ich nicht dulden. Mein Sohn Alexander von Prewitz zu Kirchhagen und diese dahergelaufene Eleonora Prohaska, Tochter einer Hure, die es mit jedem trieb.«
Jetzt wurde Eleonora wirklich schlecht, so übel, dass sie fürchtete, sich jeden Moment übergeben zu müssen. Ihre Knie zitterten. Sie ließ sich auf ihren Stuhl fallen. Mit bebenden Händen griff sie nach ihrer Tasse. Ein Schluck heißer Tee würde ihr jetzt vielleicht helfen.
»Ich dulde diese Person nicht mehr länger unter meinem Dach!«, kreischte es jetzt aus dem Aufzugsschacht.
Eleonora sprang wieder auf, lief zum Aufzug und knallte beide Klappen zu. Nicht eine Sekunde länger konnte sie dieses Gekreische der Gräfin mehr ertragen. Das beschwichtigende Gebrummel ihres Mannes konnte auch nichts mehr ausrichten. Gleich würde sie hyperventilieren und dann in Ohnmacht fallen. Nur, dass es nun niemanden mehr im Hause gab, der auf ein Klingeln herbeigeeilt wäre, ein stets parat stehendes Riechfläschchen der Gräfin unter die Nase gehalten und das viel zu enge Korsett aufgelöst hätte. Auch Eleonora hatte ihr etliche Male diese Dienste erwiesen. Aber jetzt hatte sie nur noch einen Wunsch: weg, weg, weg!
So schnell wie möglich weg von hier, weit fort von dieser Frau, die sie so maßlos verletzt und gekränkt hatte, fort von den Erinnerungen an die vergangenen sorglosen Jahre, für die es keine Wiederkehr gab, die ihr mit diesem Ausbruch für immer zerstört waren. Fort von der Trauer und dem Schmerz ob des Verlustes eines Menschen, dem sie so viel zu verdanken hatte.
Sie musste fliehen.
Nein!!!
21
E leonoras Verletztheit und Qual verwandelten sich plötzlich in Empörung und schließlich in helle, flammende Wut. Nein, sie dachte gar nicht daran, dieses Haus sang- und klanglos zu verlassen. Sie wollte Gräfin Elisabeth die Meinung sagen, endlich, ein einziges Mal, aber dafür unmissverständlich. Das Geschrei von oben war verstummt. Kein Ton war mehr durch den Aufzugsschacht zu vernehmen. Wahrscheinlich war Gräfin Elisabeth tatsächlich in Ohnmacht gefallen. Jetzt begann die Klingel zu scheppern, aber weit und breit war kein Dienstbote in Sicht, der eilfertig nach oben eilte, um nach den Wünschen der Herrschaften zu fragen.
Eleonora griff nach dem Riechfläschchen, das noch aus Babettes Zeiten zwischen den Tellern des Wandregals parat stand, und machte sich auf den Weg in die Beletage. Ganz bewusst ließ sie sich Zeit, um sich so wieder zu beruhigen. Ohne anzuklopfen, betrat sie Gräfin Dorotheas ehemaligen Salon. Als sie Gräfin Elisabeth auf deren Récamiere entdeckte, stieg schon wieder die helle Wut in ihr empor. Was maßte diese sich eigentlich an?
Die Gräfin schien wirklich einer Ohnmacht nahe. Graf Wilhelm hatte ihr gerade die Füße hochgebettet und machte sich an ihrem Mieder zu schaffen. Seine dicken Finger hatten sich alsbald rettungslos in den zahlreichen Bändern der Verschnürung verheddert. Seine Gattin lag mit geschlossenen Augen auf der Récamiere und atmete heftig. Wenn sie weiter so
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