Flamme der Freiheit
auf meinem persönlichen Schreibtischstuhl niederzulassen.« Seine Stimme überschlug sich fast vor Empörung.
»Ich habe mich nicht an Ihrem Schreibtisch zu schaffen gemacht, sondern Ihnen lediglich wie jeden Nachmittag um diese Zeit Ihren Mokka bereitgestellt«, entgegnete Eleonora ruhig.
Der Apotheker wollte schon wieder hochfahren, aber sein Freund legte begütigend die Hand auf seinen Arm.
»Lass sie doch erst einmal ausreden«, verlangte er und nickte Eleonora aufmunternd zu.
»Dabei fiel mein Blick zufällig auf diese auf dem Schreibtisch liegenden Manuskriptseiten«, fuhr Eleonora hastig fort. »Ich überflog ein paar Zeilen und bin sofort hängengeblieben. Ich habe selbst nicht gemerkt, wie ich Zeit und Raum vergaß. Es muss an der Lektüre liegen. Ich bitte vielmals um Verzeihung.«
Apotheker Pistor schwieg. Sein Freund klopfte ihm ermutigend auf die Schulter. Dabei sah er Eleonora lächelnd an. Von Apotheker Pistor kam ein unwilliges Brummeln.
»Er hat Ihre Entschuldigung angenommen, Christine«, sagte Dr. Semling zu ihr, dann wandte er sich wieder Pistor zu. »Letztendlich solltest du wirklich stolz sein, eine so gebildete Hausangestellte zu haben. Und eine begnadete Köchin zugleich, wie ich aus eigener Erfahrung hinzufügen möchte.« Nachdenklich ließ er seinen Blick über Eleonora wandern. »Seltsam, dass ich erst heute feststelle, was für eine schöne Frau Sie sind, Fräulein Christine. Viel zu schade, um sich in so einer alten, verräucherten Küche zu verstecken. Warum hast du uns diese Schönheit eigentlich so lange vorenthalten?«, fragte er vorwurfsvoll seinen Freund.
»Eine Köchin ist eine Köchin, bleibt eine Köchin«, murmelte Apotheker Pistor unwirsch und begann seine Unterlagen zu ordnen. Aber Dr. Semling wollte Eleonora nicht aus den Augen lassen. Immer schärfer umfasste sie sein forschender Blick.
»Irgendwie kommen Sie mir bekannt vor, Fräulein Christine«, sagte er nachdenklich. »Ich bin mir sicher, dass ich Sie schon irgendwo einmal gesehen habe. Ich weiß nicht, wann und wo das gewesen sein kann, aber eines bin ich mir ganz sicher, Sie trugen keine Dienstbotentracht. Sind wir uns nicht schon einmal begegnet, Fräulein Christine?«
Mit zitternden Fingern nestelte Eleonora an ihrer Schürze und machte hastig einen Knicks. »Das ist unmöglich, da muss eine Verwechslung vorliegen, Herr Doktor«, krächzte sie. »Ich bitte nun mich zu entschuldigen.«
»Christine!«, rief Apotheker Pistor sie barsch zurück. »Nehmen Sie den Mokka mit, der ist ja mittlerweile eiskalt geworden.«
Mit fliegenden Händen stellte Eleonora das Mokkageschirr auf das Serviertablett. Die scharfen Augen des Arztes schienen ihr bis auf den Grund ihrer Seele zu schauen. Ahnte er etwas? Was wusste er? Sie knickste erneut und wich seinem Blick aus. Aber als sie das Tablett in der Küche auf dem Tisch abstellte, war ihr Entschluss bereits gefasst. Sie musste so schnell wie möglich dieses Haus verlassen.
Apotheker Pistor akzeptierte ihre Kündigung sofort.
»Es ehrt Sie, dass Sie so schnell die Konsequenz aus Ihrem ungebührlichen Verhalten ziehen«, sagte er. »Insofern bin ich auch bereit, Ihnen eine Referenz zu geben.«
Die Empfehlung eines angesehenen Apothekers aus Neuruppin war in der Tat ihrer neuen Stellungsuche förderlich. Die Frau des Apothekers hatte ihr sogar noch einen Wochenlohn mehr, als ihr zustand, ausgezahlt. Zunächst hatte sie sogar gegen Eleonoras Kündigung protestieren wollen. Aber auf einen abwehrenden Wink ihres Gatten hin verstummte sie sofort, wie es sich für eine gehorsame Ehefrau geziemte. Das Extrageld steckte sie Eleonora auch hinter seinem Rücken zu. Dieser kleine Obolus erlaubte es ihr, nicht nur mit der Eilkutsche nach Berlin zu fahren, sondern Quartier in einer kleinen Pension zu nehmen. Ein paar Marktbesuche, die Ohren aufgesperrt und die Gespräche der einkaufenden Dienstmädchen und Zofen belauscht, dabei stets gut getarnt in der Aufmachung einer märkischen Landfrau, einen Fischhändler hier, eine Hökerin da, eine Gemüsefrau dort ein bisschen ausgeforscht, und im Nu war Eleonora auf dem Laufenden, wusste, wer wo eine tüchtige Köchin suchte. Zeitweilig überlegte sie, ob sie es zur Abwechslung einmal als Vorleserin, als Gesellschafterin oder gar Lehrerin versuchen sollte. Das hatte nichts Ehrenrühriges. Die Zeiten hatten sich geändert. Etliche Frauen waren in diesen Jahren gezwungen, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Andere wollten es sogar
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