Flamme der Freiheit
erkundigte er sich.
»Noch besser!«, sagte Eleonora und warf sich in die Brust.
»Kommst trotzdem erst einmal in die Kleiderkammer.« Eleonora war enttäuscht. Er schien es ihr anzusehen. »Nur bis wir losziehen, dann darfst du natürlich Seite an Seite mit den Kameraden marschieren«, tröstete er sie väterlich. »Jetzt besorgst du dir erst einmal eine richtige Uniform. Mit Weste und Strickjacke in den Krieg ziehen wollen. Und dann noch dieser komische Pelz. Wo kommen wir denn da hin? Wenn das der Major sehen würde!«
34
M it angezogenen Beinen saß Eleonora auf der Wiese und starrte auf das leere Stück Papier auf ihren Knien. Heute, hatte sie sich ganz fest vorgenommen, wollte sie endlich ihrem Vater schreiben. Stunden um Stunden war sie seit dem Morgengrauen mit ihren Kameraden des Jägerbataillons am Rande der Lüneburger Heide entlangmarschiert und nun froh, sich endlich zu einem Biwak niederlassen zu können. An das Tragen der schwarzen Uniform hatte sie sich inzwischen gewöhnt. Ja, sie genoss sogar die neue Freiheit, die die ungewohnten Beinkleider ihrer Bewegung verliehen. Niemals hätte sie mit einem langen Rock so bequem auf der Erde hocken und schon gar nicht ihre Beine anziehen können. Sie legte den Tornister auf ihre Knie. Auf dieser Unterlage konnte sie besser schreiben. Fast ein halbes Jahr war es her, dass sie die bescheidene Kate ihres Vaters am Rande Potsdams verlassen hatte. Nicht die erste Flucht ihres Lebens, aber die schmerzlichste. Sie spürte, wie es heiß in ihr hochstieg.
Friederike! Ihre kleine Tochter war jetzt fast ein Dreivierteljahr alt. Wie es ihr erging? Ob sich ihr Vater richtig um sie kümmerte? Wie einst sie selbst musste nun auch Friederike ohne Mutter aufwachsen. Aber Eleonora war sich gewiss, dass ihr Vater es der Kleinen an nichts fehlen ließ. Und dann war da auch noch die Nachbarin Marie, die bei Friederikes Geburt dabei und von der ersten Sekunde an von dem kleinen Wesen hingerissen war.
»Sie sieht aus wie eine Prinzessin! Vielleicht ist sie ja sogar eine Prinzessin, nicht wahr, Eleonora?«
Diese ignorierte stets den fragend wissenden Seitenblick, den ihr Marie zuwarf. Niemals würde irgendjemand von der wahren Herkunft ihrer kleinen Tochter erfahren. Sie sollte als Enkelin eines Potsdamer Feldwebels aufwachsen und erzogen werden. Und niemals in ein Waisenhaus gegeben werden.
Die Sehnsucht nach ihrer Tochter schnitt ihr ins Herz. Mit Gewalt unterdrückte sie jeglichen weiteren Gedanken an sie. Sie hatte keine andere Wahl gehabt. Sie hatte gehen müssen, getrieben von dem Hass auf die französische Besatzung, der schon seit Jahren in ihrem Inneren gärte. Ein unstillbares Bedürfnis nach Rache und Vergeltung hatte sich hinzugesellt, seit dieser Soldat über sie hergefallen war.
Der hohe Schrei aus Friederikes Wiege hatte den verwahrlosten und betrunkenen Franzosen erschreckt, ihn hochfahren lassen und ihn in ein winselndes Häufchen Demut verwandelt. Vielleicht war er selbst ein Familienvater, hatte Frau und Kinder, die im fernen Frankreich seit Jahren vergeblich auf ihn warteten? Er musste einer dieser versprengten französischen Soldaten gewesen sein, die nach dem verheerenden Desaster des Russlandfeldzugs zu Tausenden orientierungslos durch den Osten Europas irrten. Die hungernden, frierenden, teilweise schwerverletzten Männer waren nur noch von einem Wunsch beseelt – so schnell wie möglich nach Hause zu kommen. Napoleon selbst hatte schon am 5 . Dezember 1812 der zerstörten »Grande Armée« mitleidlos den Rücken gekehrt. Er rettete seine Haut und kehrte nach Paris zurück. Anstatt zur Vernunft zu kommen und von dem Wahn abzulassen, das riesige Russland besiegen zu müssen, begann er erneut landesweit Soldaten auszuheben. Angeblich stand ihm bereits wieder eine Armee von fünfunddreißigtausend frisch rekrutierten Männern zur Verfügung. Dennoch war der Mythos des unbesiegbaren Kaisers aller Franzosen unwiderruflich zerstört. Nun trat der bislang sich nur im Verborgenen regende Widerstand in den besetzten Ländern öffentlich zutage. Im Königreich Preußen erfolgte bereits am 3 . Februar 1812 die Gründung von Freiwilligenkorps. Es hatte jedoch aller Überredungskünste eines Gerhard von Scharnhorst und Major von Lützow erfordert, dem preußischen König dafür die Genehmigung abzuringen. Friedrich Wilhelm tat sich immer noch schwer mit dem Seitenwechsel Preußens. Für ihn war Tauroggen mehr ein Schock als ein Befreiungsschlag gewesen. Die
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