Flamme der Freiheit
seines Hemds nach oben und ließ seine Muskeln spielen. »Schau mal, fass mal an! Na los!«, forderte er sie auf, als er sah, wie sie zögerte. Widerwillig umfasste Eleonora mit der Hand seinen Oberarm. »Drücken!« Sie drückte.
»Ganz schön fest«, sagte sie.
Bellermann strahlte. »Alles von den Körperübungen bei Turnvater Jahn draußen in der Hasenheide vor den Toren Berlins. Vor zwei Jahren war ich noch genauso blass und spiddelig wie du, kannte nur meine Bücher und die dunkle Studierstube, aber dann … Lass mal fühlen!« Und schon hatte er seine Rechte auf Eleonoras Oberarm gelegt und drückte zu. »Da ist ja gar nichts, nur Knochen.«
Er drückte noch heftiger. Es tat richtig weh. Eleonora verkniff sich dennoch ihren Aufschrei.
»Lass das!«, fuhr sie ihn stattdessen an. »Nimm sofort deine Hand da weg!«
Bellermann gehorchte verdutzt. »Ist ja schon gut, schon gut. Bist ja noch ein junger Kerl. Auch ein Studiosus?«
»Nein, ein Schneider«, entgegnete Eleonora knapp.
»Schneider kann unsere Freischar auch gut gebrauchen«, sagte Bellermann gutmütig. Überhaupt war er ein gutmütiger Kerl, dem nicht an Streit gelegen war. Lieber erzählte er Eleonora noch mehr von seinen Freiübungen und von Friedrich Ludwig Jahn und Friedrich Friesen.
»Die beiden sind schon seit dem 29 . Januar in Breslau auf dem Sammelplatz und werben Freiwillige an, um gegen den bevorstehenden Ansturm der Franzosen gewappnet zu sein.«
Eleonora hörte genau zu. Von sich selbst gab sie kaum etwas preis, aber sog die Informationen von Bellermann wie ein Schwamm in sich auf.
Es hatte sich einiges getan in den vergangenen Monaten. Das, was Eleonora in ihrer persönlichen Empörung und Auflehnung bewogen hatte, von heute auf morgen das väterliche Haus zu verlassen, getrieben von einem diffusen Bedürfnis nach Rache, stellte sich nun als eine kollektive Bewegung dar, die ganze Scharen von Studenten, Handwerkern und Akademikern zu den Waffen trieb.
»Seit 1810 haben Jahn und Friesen Minister Scharnhorst zur Sammlung einer Freischar gedrängt, aber der König hat das immer wieder abgelehnt. Dabei waren schon seit Monaten Tausende von Freiwilligen bereit, sich gegen Napoleon zu erheben.«
»Sie wünschen bitte?« Eine dralle Bedienung kam an den Tisch und unterbrach Bellermanns Redefluss.
»Zwei Krüge Bier und etwas Gutes zu essen. Was haben Sie denn anzubieten?«, sagte Bellermann und versenkte seinen Blick in das tiefe Dekolleté der Bedienung.
»Wie wäre es mit Schweinebraten, Rotkohl und Klößen«, schlug sie vor und lächelte Eleonora zu.
»Dann bringen Sie uns das«, sagte diese und schaute an der Bedienung vorbei.
Bellermann stieß ihr an das Schienbein. »Sieh an, sieh an, unser Schneiderlein. Mensch, Renz, hast du gesehen, die macht dir schöne Augen.«
»Keine Zeit für Weiber!«, behauptete Eleonora burschikos. »Prost!« Sie hob den Steinkrug und prostete ihrem Begleiter zu. »Auf unseren König und Preußen!«
Das ließ sich Bellermann nicht zweimal sagen. Von ihm erfuhr sie im Verlauf dieses Abends endlich Genaueres über Lützows Truppe, über die sie bislang nur gerüchteweise gehört hatte.
»Eigentlich heißt es ja Königlich Preußisches Freikorps und gehört regulär zum Preußischen Heer, aber man nennt sie nur noch die Lützower, und denen will ich mich anschließen.«
»Ich auch!«
Endlich hatte Eleonora ein Ziel.
Die Freiwilligen Ernst Bellermann und August Renz wurden drei Tage später in das Königlich Preußische Heer aufgenommen. Auf den ersten Blick wirkte es, als würde auf dem Sammelplatz in Breslau das totale Chaos herrschen. Nach einer Weile jedoch bemerkte Eleonora, dass es eine Art höhere Ordnung gab, die die ankommenden Ströme der aus allen deutschen Ländern herbeieilenden Freiwilligen in bestimmte Bahnen lenkte.
Eleonora reihte sich in die Warteschlange vor dem Zelt ein, wo die Neuankömmlinge registriert wurden.
»Kommst zu den Jägern«, sagte ein Feldwebel knapp. Er musterte sie von oben bis unten. »Nicht viel an dir dran«, stellte er fest.
»Dafür umso mehr im Koppe«, versetzte Eleonora und spie auf den Boden.
»Was biste von Beruf?«
»Schneider!«
»Kannst du die Trommel schlagen, wir brauchen einen Trommler?«
»Natürlich kann ich das«, behauptete Eleonora und spie zur Bestätigung ein zweites Mal auf den Boden, dem Feldwebel knapp vor die Füße. Nachdenklich schaute dieser auf den dunklen Fleck im Sand.
»Kannst du genauso gut schießen wie spucken?«,
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