Flamme der Freiheit
Champagners. Was diesem beseelten Lächeln vorausgegangen war, konnte sich Gräfin Dorothea nur zu gut denken. Das Wissen darum, die genaue Kenntnis des Verursachers behagten ihr gar nicht. Eleonora Prohaska stand unter ihrer Obhut. Sie hatte noch Großes mit ihr vor und würde sich deren Zukunft nicht von einer leichtfertigen Laune zerstören lassen. Auch wenn es sich dabei um die Laune ihres eigenen, über alles geliebten Enkels Alexander handelte.
So vernarrt Gräfin Dorothea auch in ihren Enkelsohn war, machte sie sich über seinen Charakter keine Illusionen. Alexander war klug, charmant, in vieler Hinsicht begabt, würde einmal ein hervorragender hoher preußischer Offizier werden, aber er war gleichfalls leichtfertig. Tiefer Gefühle, aufrichtiger Zuneigung und Treue zu einer Frau hielt ihn seine eigene Großmutter für unfähig.
Die modische Strömung der romantischen Bewegung der jungen Generation nötigte der Gräfin nur ein nachsichtiges Lächeln ab.
Die ersten Keime dieser exaltierten Gefühlsseligkeit sprossen zunächst im fernen Jena. Nach anfänglicher Euphorie waren sie bestürzend schnell in das Kraut einer höchst unerfreulichen Entwicklung geschossen. Liebeswirren, Intrigen, Neid und Streit zwischen den beteiligten Paaren führten schließlich zu Hass und unversöhnlicher Feindschaft. Auch Klatsch und Tratsch über die unglückliche Liebesbeziehung zwischen der klugen Rahel Levin und dem unschlüssigen Grafen von Finckenstein waren ungefiltert bis draußen an den Sophienhof gedrungen. Bei einem ihrer Berlinbesuche war Gräfin Dorothea sogar einmal persönlich zum Teetrinken in Rahels berühmtem Salon gewesen. Die dort herrschende ungezwungene Atmosphäre hatte ihr zugesagt. Selbst mehr unkonventionell gesinnt, schätzte sie ein langes Gespräch mit ihrem alten erfahrenen Gärtner tausendmal mehr als die gestelzte Konversation anlässlich einer offiziellen Zeremonie bei Hofe.
So waren es auch weniger Standesdünkel gewesen als das Bedürfnis, die junge Eleonora zu schützen, die sie dazu bewogen, Alexander unmittelbar nach der Opernaufführung zur sofortigen Abreise zu zwingen.
»Du hast deine Aufgabe zufriedenstellend erfüllt, du warst ein wirklich passabler Orpheus, aber nun wirst du hier nicht mehr gebraucht«, hatte sie ihrem Enkel am frühen Morgen, der auf die lange Ballnacht folgte, kühl mitgeteilt.
Im Gegensatz zu Prohaska hatte die Gräfin die Lüge von der fohlenden Lieblingsstute nicht geglaubt, sondern Alexander noch im Morgengrauen in seinem Zimmer aufgesucht, um ihm die sofortige Abreise nahezulegen. Nein, sie befahl sie ihm. Und Alexander gehorchte, mit blasser Miene, zusammengepressten Lippen und glühenden Augen. Widerspruch wagte er nicht.
Die übrigen Gäste schliefen noch süß und selig, als Alexander über den Hof ritt, noch einmal vor dem Portikus des Schlosses innehielt, seinen Zweispitz vom Kopf nahm und der Großmutter Abschied nehmend zuwinkte. Er wusste ganz genau, dass sie hinter dem Vorhang ihres Schlafzimmers stand, um sich seiner Abreise zu vergewissern. Mit einem Aufatmen hatte sich die Gräfin daraufhin auch wieder zur Ruhe begeben. Das nachlassende Geräusch klappernder Hufe auf den Pflastersteinen der Landchaussee begleitete sie in einen unruhigen Morgenschlummer.
All das lag nunmehr ein Vierteljahr zurück.
Natürlich war man beim späten Frühstück überrascht ob des Nichterscheinens von Alexander. Mit einer resoluten Handbewegung schnitt Gräfin Dorothea jedoch alle weiteren erstaunten und neugierigen Fragen nach dem Verbleib ihres Enkels ab. Ihre Autorität war so groß, dass jegliche Spekulationen und Mutmaßungen bei Tische sich von selbst verboten. Umso heftiger erging sich die Dienerschaft im Souterrain in Klatsch und Tratsch.
»Nun sag doch mal, Jean, du weißt doch bestimmt viel mehr, was ist denn passiert?«, bestürmte Kochmamsell Babette den alten Diener. Der schüttelte jedoch nur den Kopf und schwieg. Er hätte einiges erzählen können, hatte er doch eigenhändig noch den Koffer des jungen Grafen gepackt und seinen verschlafenen Burschen geweckt. Aber Jean war diskret. Nicht zuletzt seine absolute Diskretion war es, die ihm diese Lebensstellung mit der damit verbundenen Wertschätzung eingetragen hatte. Gräfin Dorothea wusste, dass sie sich auf ihn verlassen konnte. Niemals würde Jean ihr Vertrauen missbrauchen. Sie kannten einander gut. So, wie es eben ist, wenn man von Jugend auf nebeneinander aufwächst. Ursprünglich der
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