Flamme der Freiheit
Tritt in den Allerwertesten. Dieser schoss förmlich durch den ganzen Raum, ehe er an dessen Ende stolperte und auf seinen Hintern fiel. Triumphierend hielt er den rechten Stiefel empor. »Wir haben ihn, wir haben ihn!«, rief er. »Und jetzt der andere!«
»Parbleu, Er ist der perfekte Stiefelknecht«, fiel der Graf in den Jargon seiner frühen Militärjahre zurück. »Wie lange dient Er schon in diesem Haus?«
»Aber, Herr Graf, Sie kennen mich doch, ich bin der Anton, der Sohn vom Fischer unten am See. Erinnern Sie sich nicht, wie oft ich Ihnen die Reusen aus dem Wasser geholt oder die Krebse für das Sommeressen ins Schloss gebracht habe?«
Anton schien richtig empört ob der Vergesslichkeit des alten Grafen. Jean räusperte sich warnend. Der Graf lachte.
»Potz Blitz, bist du aber groß geworden. Ich meine, es sei gestern gewesen, dass du mir als kleiner Rotzbengel beim Fischen behilflich warst.«
»Oder Ihnen die Unterwasserritter von den Bäumen geschüttelt habe«, ergänzte Anton grinsend. Bis vor wenigen Jahren hatte das Hochwasser der Flüsse in der Mark die Stein- und Flusskrebse tatsächlich so hoch an Land gespült, dass die schmackhaften Tiere nach Rückgang des Wassers nur noch von Bäumen und Büschen zu pflücken oder zu schütteln gewesen waren. »Die letzte Saison haben Sie ja versäumt«, setzte Anton hinzu und beugte sich nun über das linke Bein des Grafen. »Auf ein Neues«, forderte er ihn auf.
»Nicht nur die letzte Saison«, meinte der Graf und zog nun das rechte Bein an. Ohne Stiefel, nur mit Socken am Fuß fiel der zweite Tritt wesentlich glimpflicher als beim ersten Mal aus. So musste die Prozedur mehrmals wiederholt werden, ehe Anton erneut an das Ende des Saals schoss, hinpurzelte, aber unbeirrt seine lederne Beute über dem Kopf schwenkte und sein fröhliches »Ich habe ihn, ich habe ihn!« trompetete.
Eleonora hatte alles, das Tablett noch immer vor sich haltend, mit stillem Vergnügen beobachtet.
»Aaaah, das tut gut«, stöhnte der Graf. Er erhob sich ächzend, rieb sich die Hände und tapste auf den Fliesen der Eingangshalle herum. Eleonora kam er vor wie ein alter, unbeholfener Tanzbär.
»Herr Graf sollten in die Pantinen schlüpfen und den Hausmantel überziehen«, mahnte Jean. Die Lederpantinen waren das Meisterwerk eines venezianischen Schusters. O ja, im Hause Prewitz wusste man schon, was Qualität bedeutete, und stellte an Garderobe und auch sonstige Ausstattung allerhöchste Ansprüche.
»Sag mal, Anton, nachdem du dich bei mir so hervorragend als Stiefelknecht bewährt hast, interessiert mich, warum du nicht beim Militär bist.«
»Ich habe ihn vor einem Jahr ins Haus geholt«, mischte sich Jean diskret ein. »Er soll in Berlin bei unserem Kutscher Christian eine Ausbildung machen. So das Haus Prewitz seine Dienste beansprucht, muss er nicht zum Militär.«
»Ach so, hm, na ja«, meinte Graf Ludovic. »Aber eigentlich schade um so einen kräftigen, gutgebauten Kerl.«
»Ich kann ja später immer noch zum Militär, gute Kutscher sind da doch auch gefragt«, erklärte Anton eifrig.
»Da hast du auch wieder recht, mein Junge, und bei unserem Christian kannst du wirklich etwas lernen.«
Graf Ludovic hatte sich mittlerweile den Gürtel seines Hausmantels um seinen stattlichen Bauch geschnürt, war in die Pantinen geschlüpft und machte sich nun ächzend daran, die Treppe zum ersten Stockwerk zu erklimmen.
»Potz Blitz, meine ollen Knochen«, schimpfte er. »Ich werde auch nicht jünger. Es war ja auch ein ganz schöner Ritt bis hierher.«
»Vielleicht solltest du auf deine alten Tage endlich vernünftig werden und einsehen, dass mittlerweile die Kutsche das richtige Transportmittel für dich ist«, meldete sich die helle Stimme von Gräfin Dorothea zu Wort. Über der Balustrade war ihr graugelockter Kopf zu sehen. Als sie ihren Gatten entdeckte, der sich am Geländer der Treppe Stufe für Stufe in das erste Stockwerk schleppte, bezog sie am oberen Absatz ihrerseits Stellung. »Du wirst alt, mein lieber Ludovic«, begrüßte sie ihn, streckte ihm beide Hände entgegen und hielt ihm die rechte Wange hin. Er hauchte ihr rechts und links zwei »bises« auf die dezent gepuderte Haut und küsste ihr anschließend die Hand, ganz Kavalier der alten Schule.
»Was man von dir nicht behaupten kann«, entgegnete er galant. »Du scheinst mir von Jahr zu Jahr jünger zu werden, meine liebe Dorothea.«
Seine Gattin lächelte geschmeichelt. Sie hakte ihn unter und zog ihn
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