Flamme der Freiheit
langgezogenen Grundstücks in Richtung Spreeufer stand, und waren kaum zu bändigen.
Die Flügeltür des Palais war weit geöffnet. In dem hellen Lichtschein, der nach draußen auf die Treppe fiel, wurde eine schmale schwarze Silhouette erkennbar.
»Madame Hortense«, rief die Gräfin entzückt. Sie zog ihre Arme aus den angewinkelten Ellbogen ihrer Enkelinnen und eilte die Stufen empor. Unmittelbar vor der dünnen Gestalt blieb sie stehen und streckte die Hand aus. Die Silhouette versank in einem tiefen Hofknicks. Im Schattenriss zeichnete sich nun die scharfe Linie eines spitznasigen Profils ab. Der Kopf neigte sich nieder, um der Gräfin einen ehrerbietigen Handkuss zu geben.
»Na, da können sich Emma und Paula ja gleich heute auf etwas gefasst machen«, raunte Charlotte den beiden anderen zu. Eleonora erfasste beinahe so etwas wie Mitleid mit den beiden jungen Mädchen. Schon den ganzen Sommer über hatten sie unter Babettes Fuchtel gestanden, aber das war nichts im Vergleich zu dem, was sie nun erwartete. Vor zwei Jahren hatte Gräfin Dorothea ihr und auch ihren beiden Enkelinnen eine nur zweiwöchige »Behandlung« bei Madame Hortense verordnet, an die sich alle drei nur mit Grausen erinnerten.
Aber sie hatten auch viel bei ihr gelernt, vom richtigen Eindecken der Tafel bis zu einer leichten französischen Tischkonversation hatten ihre Lektionen gereicht. Nicht dass die Gräfin dergleichen nicht selbst beherrschte, aber sie war der Auffassung, gegenüber ihr nahestehenden Personen, gar ihren Enkelinnen und ihrem Schützling Eleonora einfach zu weich zu sein. Ganz im Gegensatz zu Madame Hortense, deren Argusaugen nichts entging, die nichts, aber auch gar nichts durchgehen ließ, nicht den kleinsten Fehler, den winzigsten Fleck in der Garderobe, nicht ein verrutschtes Obstmesser oder einen falschen Kniff in der Serviette. Genauso gnadenlos war sie, was den Gebrauch ihrer Muttersprache anbelangte.
Selbstverständlich war sie eine leidenschaftliche Anhängerin des Ancien Régime. Mit ihrer Herrschaft war sie den Wirren der Französischen Revolution nach Deutschland entkommen. Die alte Marquise war eine Jugendfreundin von Gräfin Dorotheas Mutter gewesen und wohl auch irgendwie mit deren Familie verwandt. Niemals hatte sich diese zarte Französin von den Strapazen der Flucht erholen können und war noch in Mainz, wo der dortige Erzbischof so vielen Angehörigen des hohen Adels aus dem Nachbarland Schutz und Asyl gewährte, in einem Hospital verstorben.
Irgendwie war es Madame Hortense gelungen, sich bis nach Berlin zum Palais der Prewitzens durchzuschlagen. Eines Abends hatte sie an die Tür geklopft, und für Gräfin Dorothea war es eine Selbstverständlichkeit gewesen, die in Not geratene Gesellschafterin der verstorbenen Marquise bei sich aufzunehmen. Mittlerweile war sie aus dem Prewitzschen Haushalt kaum mehr wegzudenken. An Ergebenheit gegenüber der Gräfin war sie nicht zu überbieten, wie auch jetzt ihre geradezu demütige Begrüßung bewies. Umso hochfahrender, ja geradezu hochmütig konnte sie gegenüber der Dienerschaft des Hauses sein, ja, sogar gegenüber Gästen der Prewitzens, wenn sie deren Herkunft nicht als standesgemäß erachtete. Etliche Male hatte Gräfin Dorothea sie auch ins Gebet nehmen müssen, bis sie sich endlich mit der Ankunft und ständigen Anwesenheit der kleinen Eleonora aus Potsdam abfand. Viele verborgene Tränen hatte diese die ersten zwei Jahre im Hause Prewitz vergossen, weil sie den heimlichen Schikanen von Madame Hortense ausgesetzt war. Wären da nicht Jean und Babette, aber auch die Zuneigung von Sophie und Charlotte gewesen, hätte Eleonora ihren heimlichen Gedanken an Flucht eines Tages vielleicht doch in die Tat umgesetzt.
Nein, trotz der Protektion von höchster Stelle seitens der Gräfin, der Anerkennung ihrer Begabung und steten Förderung vom alten Farini waren die ersten Jahre im Hause Prewitz für Eleonora alles andere als ein Zuckerschlecken gewesen. So richtig gewendet hatte sich das Blatt eigentlich erst seit ihrem großen Erfolg als Eurydike in der Sommeraufführung auf dem Sophienhof.
Sogar Gräfin Elisabeth hatte ihr so etwas wie widerwillige Anerkennung bezeugt, obwohl sie absolut unmusikalisch war. Das lag wohl an der Begeisterung, die Eleonora bei den Besuchern der Vorstellung, eben all den Gästen und Freunden des Hauses Prewitz zu Kirchhagen ausgelöst hatte. Aber ob Gräfin Elisabeth diese Haltung hier in Berlin im Stadtpalais, wo es doch
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