Flamme der Freiheit
die vertraute Anrede ihrer gemeinsamen Kinderjahre benutzt. Gut, dass Madame Hortense nicht anwesend war, um diesen Fauxpas zu rügen. Die war gerade damit beschäftigt, im Verein mit Babette das erst am frühen Morgen eingetroffene Mietpersonal einzuweisen, mit anderen Worten, wie üblich heftig zu triezen.
Mademoiselle Durand machte sich gerade am Rückenausschnitt zu schaffen, nestelte ein bisschen hier, nestelte ein bisschen da, als unten vom Hof das laute schnelle Klappern von Pferdehufen erklang.
Neugierig lief Paula zum Fenster und lugte hinunter.
»Wer ist es? Ist es Graf Ludovic?«, erkundigte sich Eleonora eingedenk der vielen ähnlich geräuschvollen Ankünfte des Grafen. Seit Wochen hatte man auch von ihm nichts mehr gehört, wusste nicht, bei welcher der beiden preußischen Armeen er weilte.
»Nein, es ist nicht unser Graf«, erwiderte Paula und hob sich auf die Zehenspitzen, um besser hinunter in den Hof zu spähen. »Ein gutaussehender Herr, aber ich kenne ihn nicht. Er trägt die Uniform eines preußischen Generals«, berichtete sie. »Sie sitzt wie angegossen.«
»Ein preußischer General bei uns zu Gast?«, wunderte sich Eleonora.
»Wie jung er aussieht! Wie groß er ist! Jetzt ist er von seinem Pferd gesprungen und läuft direkt auf den Haupteingang zu«, fuhr Paula mit ihrer Berichterstattung fort. »Meine Güte, sieht der gut aus.«
»Es gibt nur einen gutaussehenden jungen preußischen General«, sagte Mademoiselle Durand bedeutungsvoll und zupfte ein allerletztes Mal an der kunstvollen Verschnürung am Rücken von Eleonora. Die hielt es jetzt nicht mehr im Raum.
»Die Gräfin erwartet mich in ihrem Salon, wir wollten gemeinsam zum Speisesaal gehen«, sagte sie und entzog sich entschlossen den zupfenden, glättenden, den Sitz ihres Kleides immer noch einmal kontrollierenden Händen der Schneiderin.
»Allez-y, Demoiselle Pro’aska«, gab diese nach und richtete sich auf. Lächelnd ließ sie nochmals den Blick über Eleonoras hochgewachsene Gestalt wandern. »Sie werden heute die schönste Frau des Abends sein«, prophezeite auch sie.
So schnell es ihr die Schleppe ihres Kleides erlaubte, eilte Eleonora in den Salon der Gräfin. Sie wurde bereits erwartet.
»Wenn ich mich nicht täusche, muss unser Ehrengast bereits angekommen sein«, empfing sie Eleonora. »Und wie ich ihn kenne, wird er es sich nicht nehmen lassen, mir vor dem offiziellen Beginn unserer Abendgesellschaft noch seine Aufwartung zu machen.«
Sie sollte recht behalten. Es dauerte keine Minute, da klopfte es bereits an die hohe Flügeltür des Salons.
»Herein«, rief Gräfin Dorothea von Prewitz zu Kirchhagen.
Die beiden an diesem Abend vor ihrer Tür postierten Diener konnten die Flügel kaum rasch genug aufreißen für die Rasanz, mit der jetzt der Besucher in den Salon stürmte. Es musste der Reiter sein, dessen Ankunft Paula gerade vom Fenster aus beobachtet hatte. Ein hochgewachsener Mann in einer preußischen Generalsuniform mit einem ausdrucksvollen Gesicht, das Eleonora irgendwie bekannt vorkam. Hatte sie ihn schon irgendwo einmal gesehen?
Mit großen ausgreifenden Schritten ging er auf Gräfin Dorothea zu, die sich bei seinem Anblick von ihrem Sessel erhoben hatte. Direkt vor ihr blieb er stehen, riss sich den Zweispitz vom Kopf und verneigte sich mit der Rechten auf der Brust und ehrerbietig gesenktem Kopf.
»Prinz Louis Ferdinand«, begrüßte ihn die Gräfin freundlich. »Es ist mir eine große Freude, Sie heute Abend in meinem Hause begrüßen zu dürfen.« Sie streckte ihre Hand aus, er beugte sich darüber, um einen formvollendeten Handkuss auf deren Rücken zu hauchen.
»Es ist mir eine große Ehre«, erwiderte der preußische Prinz. »Und geradezu eine Auszeichnung, dass Sie mir die Rolle eines Ehrengastes zugewiesen haben.«
»Ehre, wem Ehre gebührt, mein lieber Prinz«, entgegnete Gräfin Dorothea und entzog ihm ihre Hand.
Der Prinz richtete sich aus seiner Verbeugung auf und nahm eine kerzengerade Stellung ein.
Paula hat recht gehabt, die Uniform sitzt wirklich wie angegossen, dachte Eleonora. Was für ein attraktiver Mann. Jetzt wusste sie auch, warum er ihr so bekannt vorkam. Es war die Familienähnlichkeit der Hohenzollern. Er glich seinem Vetter, dem König, und sah doch wiederum ganz anders aus. Friedrich Wilhelm war auch ein gutaussehender Mann, aber seine Gesichtszüge waren weicher, drückten manchmal gar Unentschlossenheit aus, während sich das Antlitz von Louis Ferdinand sofort
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