Flamme von Jamaika
Hals.
«Lass mich bitte nicht allein», nuschelte sie. «Bei dem Gedanken, dass diese seltsamen Krabben aus ihren Löchern kommen und sich womöglich an uns rächen, weil ich wir ihre Artgenossen verspeist haben, graust es mir. Ich fürchte, du musst mich vor diesen Ungeheuern beschützen.»
«Is’ ja gut», beschwichtigte Jess sie. «Ich bleibe bei dir und pass auf dich auf.»
Unbeholfen zog er sie auf seinen Schoß. Er atmete den Duft ihres Haares ein und verspürte das Bedürfnis, sie noch fester an sich zu drücken. Der Gedanke, sie tatsächlich beschützen zu wollen, nicht nur vor Cato und seinen Männern, sondern auch vor Edward Blake, erfüllte ihn mit einer bis dahin unbekannten Sehnsucht.
Schlag sie dir verdammt noch mal aus dem Kopf
,
sagte er zu sich, während er auf das helle seidige Haar herabblickte, das im Schein der Fackeln golden schimmerte. Was passieren würde, wenn der Gouverneur das Ultimatum ablehnte und die Männer hinrichten ließ, daran wollte Jess lieber erst gar nicht denken. Lena wäre dem Tode geweiht. In Anbetracht der Lage, dass die große Revolution noch bevorstand, würde Cato auf ihre Hinrichtung nicht verzichten können. Schon alleine, weil er gegenüber seinen Unterstützern das Gesicht wahren musste.
Jess wurde einmal mehr bewusst, in welchen persönlichen Konflikt er mit seiner unüberlegten Tat geraten war. Bei dem Gedanken, Lena in Catos Auftrag töten zu müssen, verspürte er einen heftigen Kloß in der Kehle.
«Herr im Himmel», flüsterte er mehr zu selbst. «Bei allem, was mir heilig ist, bewahre mich vor einem solchen Schicksal.»
Kapitel 18
September 1831 // Jamaika // Höllenschlund
W ie ein kleines, verletzliches Tier hatte Lena die ganze Nacht in der Obhut von Jess verbracht. Sogar noch als der Morgen graute, schmiegte sich ihr hellblonder Schopf mit dem weichen, seidigen Haar in seine Armbeuge. Ihr süßer Leib schlummerte unterdessen entspannt auf seinem Schoß, während er im Schneidersitz an der schroffen Höhlenwand lehnte.
Er spürte die Wärme, die von ihr ausging, und wie sie sich im Schlaf unbewusst an seinen Körper schmiegte. Seine Hand ruhte wie selbstverständlich auf ihrem kleinen, runden Hintern, als ob sie dort hingehörte. Es kostete ihn einige Mühe, still und verhalten ihre Gegenwart zu genießen, anstatt mit den Fingern auf Wanderschaft zu gehen. Beinah liebevoll betrachtete er ihr engelsgleiches Gesicht: die geschlossenen Augen, die langen, dunklen Wimpern auf bleichen Wangen. Sie war so schön, dass es weh tat.
Es gab viele hübsche Mädchen im Lager, und Jess schaute ihnen gerne hinterher. Aber Lena entsprach unglücklicherweise seinen ganz eigenen Vorstellungen von vollkommener Schönheit und Anmut. Es beunruhigte ihn, dass er sie nicht hassen konnte, weil sie eine Weiße war. Im Gegenteil, er begehrte sie so sehr, dass er es unvermittelt in seinen Lenden zu spüren bekam, wenn er sie nur anschaute. Während sie in seinen Armen schlief, war er ein paar Mal eingenickt und hatte davon geträumt, wie es sein würde, als Herr einer Plantage mit einer solchen Frau an seiner Seite über die Ländereien zu reiten. Sie hatte ihm zugelacht, und der Wind hatte mit ihren hüftlangen Haaren wie mit einer goldenen Fahne gespielt, während sie sorglos über Wiesen und Felder galoppierten.
Als er zwischen den tristen Höhlenwänden, mit ihren Eisengittern und dem Unrat um sie herum, wieder zu sich kam, wurde ihm schlagartig klar, wie unrealistisch solche Träume waren – und wie gefährlich.
Dabei war es genau das, wofür er und seine Mitstreiter kämpften: Sie wollten Herren dieser Insel sein. Doch in diesen Traum passte keine weiße Herrin, erst recht nicht als Ehefrau.
Vorsichtig löste er sich von ihr und bettete ihren Kopf auf die Tasche, in der sie all ihre Habseligkeiten hortete. Dann ging er zur Tür und öffnete sie möglichst leise, um Lena nicht zu wecken. Als er draußen vor dem Gitter stand, gab er sich alle Mühe, das Tor zu ihrem Verlies ebenso leise zu schließen. Er verabscheute es, sie schon wieder einsperren zu müssen, und schon gar nicht konnte er ertragen, wenn sie ihn dabei mit waidwunden Augen beobachtete.
Doch ihm blieb nichts weiter übrig, als sie zurückzulassen. Bei Sonnenaufgang wurde er zu einer Versammlung der Alten erwartet. Es ging dabei um nicht weniger als das Leben dieser jungen Frau. Was Jess blieb, war die Hoffnung, dass Catos Drohungen gegenüber dem Gouverneur ihre Wirkung zeigten.
Der Sturm hatte
Weitere Kostenlose Bücher