Flamme von Jamaika
erwacht, und auch ihre Kleider hatte sie noch am Leib.
Das Laudanum versetzte sie wie Wein in einen schwebenden Zustand. Es linderte ihre Schmerzen, auch wenn es ihre Gedanken nicht eben klärte. Schwere Schritte ließen sie aufschrecken. Hastig setzte sie sich die Augenbinde auf und tat so, als ob sie gefesselt wäre.
«Ich bin’s nur», sagte eine inzwischen bekannte Stimme, die ihr irgendwie sorgenvoll erschien. «Ich komme von einer Versammlung, in der über dein weiteres Schicksal entschieden wurde.»
Lena riss die Augenbinde herunter, obwohl die vollkommene Dunkelheit ihr angenehmer erschien.
«Gibt es was Neues?», fragte sie furchtsam. «Haben deine Leute schon eine Nachricht von Edward oder dem Gouverneur? Wird man die zum Tode verurteilten Männer nun endlich freilassen?»
Jess schüttelte den Kopf, während er den Schlüssel im Schloss drehte und sich damit Zugang zu ihrem Gefängnis verschaffte.
«Sieht schlecht aus», brummte er und bückte sich, um sich nicht den Kopf zu stoßen, als er durch die offene Tür trat.
Er trug noch immer seine verschlissene Reithose und Stiefel, hatte aber ein frisches Hemd übergezogen. Seine schulterlangen, braunen Locken sahen frisch gewaschen aus. Trotzdem wirkte seine Miene erschöpft, was vielleicht daran lag, dass er Wort gehalten und sie die halbe Nacht bewacht hatte.
Ohne ein Wort hockte er sich zu ihr und übergab ihr ein Stück Maisfladen und einen Becher mit Ziegenmilch, den sie dankend ablehnte.
«Ein Schluck Wasser wäre nicht schlecht», jammerte sie, worauf er geduldig das einfache Frühstück zur Seite stellte und eine Feldflasche zückte.
Gierig trank sie das wohlschmeckende Quellwasser,
Als ob sie wüsste, was er mit ihr vorhatte, legte er ein abgegriffenes Stück Papier und eine Schreibfeder auf den Boden. Dazu holte er ein kleines, braunes Fläschchen aus seinem Lederbeutel hervor, das er vor ihren Augen entkorkte.
«Unser Anführer hat befohlen, dass du einen Brief an den Gouverneur schreibst.» Er hob das Fläschchen in die Luft, als ob er ihm damit mehr Bedeutung verleihen wollte. «Mit Blut.»
Lena sah ihn ungläubig an und betrachtete die braune Glasphiole mit angewiderter Miene.
«Sag nur, das ist Menschenblut?»
«Hühnerblut», setzte er beschwichtigend hinzu.
«Um Himmels willen, was hat das jetzt wieder zu bedeuten?» Eine diffuse Angst machte sich in ihr breit. «Sind die Verhandlungen etwa gescheitert?»
«Bisher gab es keine Verhandlungen», erwiderte er spöttisch. «Wir hatten ein Ultimatum gestellt. Unsere sogenannten Verhandlungspartner haben sich mit einer lapidaren Mitteilung herausgeredet. Sie verlangen einen Beweis, dass wir dich wirklich in Gefangenschaft halten. Sie sagen, dass über die Freilassung der Männer nicht entschieden wird, bis sichergestellt ist, dass wir die richtige Frau entführt haben und dass du noch lebst. Außerdem können in so kurzer Zeit nicht alle Parlamentarier zusammengerufen werden, um eine Abstimmung über die Bedingungen zu deiner Freilassung abzuhalten.»
«Parlamentarier? Abstimmung?»
Lena glaubte, sich verhört zu haben. «Hier geht es um das Leben von Menschen, nicht zuletzt um meins. Was gibt es da noch groß zu entscheiden? Und was ist mit Edward und meinem Schwiegervater? William ist so reich wie der Sonnenkönig, verdammt, warum tun er und sein Sohn denn nichts dafür, dass eure Bedingungen so rasch wie möglich erfüllt werden?»
«Keine Ahnung», murmelte Jess.
Lena wurde das Gefühl nicht los, dass er ihr absichtlich etwas verschwieg. Deshalb beschloss sie, die Flucht nach vorn zu ergreifen, obwohl sie sich selbst vor der Wahrheit fürchtete.
«Vielleicht hat Edward längst begriffen, dass ich ihm davongelaufen bin. Gut möglich, dass Maggie in ihrer Not zur Plantage zurückgekehrt ist und Edward sie gezwungen hat, die wahren Hintergründe unseres Verschwindens zu beichten. Und nun traut er der Rebellenforderung nicht. Vielleicht bin ich ihm auch vollkommen egal, und er will sich wegen meiner Untreue an mir rächen.»
Verzweifelt sah sie ihn an.
«Ich hoffe für uns beide, dass du Edwards Sehnsucht nach dir unterschätzt. Außerdem vermag ich mir kaum vorzustellen, dass er vor dem gesamten Parlament zugibt, dass du ihm davongelaufen bist.»
Seine Stimme war ruhig, aber sein Blick verriet, dass er eine solche Entwicklung ebenso fürchtete.
«Bisher ist noch nichts entschieden. Und es ist ja nicht so, dass der Gouverneur überhaupt nicht auf unsere Forderungen
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