Flamme von Jamaika
sich gelegt, als er mit einem seltsamen Gefühl der Niedergeschlagenheit das Dorf durchquerte. Ein paar Kinder lungerten vor den wenigen Strohhütten, verhielten sich jedoch ruhig. Sie wurden von klein auf darauf eingeschworen, dass sie keinen allzu großen Lärm machen durften, damit ihre hellen Stimmen nicht über das Lager hinausgetragen wurden.
Jess machte vor seiner eigenen Behausung kurz halt, um ein frisches Hemd anzuziehen. Danach marschierte er mit zwei anderen Kriegern zur Versammlungshöhle. Die meisten Angehörigen des Ältestenrates saßen bereits auf ihren angestammten Plätzen und warteten geduldig auf Catos Erscheinen, doch der ranghöchste Rebell ließ sich Zeit. Jess spürte die neugierigen Blicke der anderen Brüder, als er sich im Schneidersitz niederließ. Besonders Nathan, der wie immer auf dem Platz neben ihm saß, beäugte ihn kritisch. Während das Stimmengewirr langsam abflaute, verpasste sein Freund ihm einen leichten Stoß in die Rippen.
«Und?», fragte er leise. «Hattest du sie schon?»
«Sie ist eine Gefangene, eine Weiße dazu», erwiderte Jess empört. «Und jetzt komm bloß nicht auf die Idee, dass ich ihr Gewalt antun sollte, nur weil sie sich nicht wehren kann.»
«Ich an deiner Stelle würde mir eine solche Gelegenheit nicht entgehen lassen. Unsere Mädchen werden zu Tausenden von den Weißen vergewaltigt, und niemand interessiert sich dafür. Da ist es nur recht, wenn wir es ihren Weibern in gleicher Münze heimzahlen.»
«Ach», flüsterte Jess, während Cato die Höhle betrat und die Stimmen um sie herum verstummten, «und du denkst wirklich, dass man Unrecht mit Unrecht vergelten sollte?»
«Was denn sonst», raunte Nathan. «Eine Rebellion ist doch auch nichts anderes. Hast du je von einem Krieg gehört, der Rücksicht auf Frauen und Kinder nimmt?»
«Nein», erwiderte Jess düster. «Aber jeder muss letztendlich für sich selbst entscheiden, wie weit er in einem Krieg gehen will.»
Nathan erhielt keine Gelegenheit, ihm zu antworten. Cato hatte die Hand erhoben und forderte ihre uneingeschränkte Aufmerksamkeit. Aleeke stand neben ihm, den sehnigen Körper in Schweiß gebadet. Wahrscheinlich war er von Kingston, wo er ihren Mittelsmann getroffen hatte, bis in die Berge durchgeritten. Zum Beweis hielt Cato die neuste Ausgabe der
Kingston Gazette
in den Händen und hatte jene Seite aufgeschlagen, auf der die verschlüsselte Antwort des Parlaments auf sein Ultimatum zu lesen sein sollte.
«
Der Beginn zur Planung der neuen Brücke über den White River wird noch mindestens zwei Wochen in Anspruch nehmen, weil nicht alle Parlamentarier zur Abstimmung zugegen waren
», las Catos Schreiber vor. Was nichts anderes bedeutete, als dass man von Parlamentsseite einen zeitlichen Aufschub zur Erfüllung der genannten Bedingungen forderte. «
Die bereits begonnenen Beratungen werden bis dahin zurückgestellt. Die beteiligten Verhandlungspartner mahnten zu Besonnenheit, um den gewünschten Ausgang der Planungen nicht zu gefährden. Außerdem erwarteten die verantwortlichen Abgeordneten einen nachvollziehbaren Grund zur Notwendigkeit dieser Maßnahme
.»
Cato war wie versteinert, während sein Schreiber die Zeitung sinken ließ.
«Sie wollen einen Beweis, dass unsere Gefangene lebt und wir sie tatsächlich in unserer Gewalt haben. Sobald das geschehen ist, benötigen sie angeblich mehr Zeit, um unter allen Abgeordneten der Insel eine Abstimmung zu veranlassen, die über die Freilassung der zum Tode Verurteilten entscheidet.»
«Was hat das zu bedeuten?», krächzte einer der Alten.
«Es bedeutet», erwiderte Cato mit vor Wut zitternder Stimme, «dass unsere Gegner uns nicht ernst nehmen und nicht zur Tat schreiten. Aber das werden wir nicht hinnehmen.»
Sein Blick schnellte zu Jess hin.
«Ich will, dass du die Schlampe folterst. Sie soll um ihr Leben bangen und aus dieser Angst heraus einen Brief schreiben. Einen herzzerreißenden Brief, am besten mit ihrem eigenen Blut. Dann bekommen ihre weißen Verbündeten alles auf einmal. Einen Beweis dafür, dass wir sie tatsächlich in unseren Händen halten und dass ihr Lebenssaft noch fließt.» Catos Augen glitzerten leicht wahnsinnig.
Jess erhob sich zu voller Größe, was auf den wesentlich kleineren Cato wie üblich eine einschüchternde Wirkung entfaltete. Dabei versuchte Jess sich nicht anmerken zu lassen, wie groß seine Sorge um Lena war.
«Ich halte es für unmenschlich, sie absichtlich zu quälen», erklärte er ruhig in
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