Flamme von Jamaika
die Runde hinein. «Sie kann nichts dafür, wenn die Herren in Spanish Town Katz und Maus mit uns spielen.»
«Heißt das», fragte Cato mit einem abwertenden Grinsen, «du schlägst vor, dass wir ihr lieber gleich den Hals umdrehen und sie in einem Leichenwagen nach Hause schicken?»
«Nein, verdammt!»
Jess biss sich auf die Lippen. Er würde alles tun, um sie vor dem Äußersten zu bewahren.
«Dann lass dir was Besseres einfallen», befahl Cato ungehalten. «Wir müssen unsere Verhandlungspartner schleunigst schockieren, sonst glauben sie uns nicht, dass wir Ernst machen.»
«Wir könnten ihr ein Ohr abschneiden», riet einer der Alten krächzend. «Oder die Nase», rief ein anderer. «Und die abgeschnittenen Körperteile könnten wir in einer Schachtel zum Gouverneur schicken.»
«Na prima», stieß Jess unerschrocken hervor, «damit Edward Blake sie erst gar nicht zurückhaben möchte? Oder denkst du, er hätte sie zur Frau genommen, wenn sie verstümmelt gewesen wäre? Außerdem könnte sie an den offenen Wunden sterben. Und was macht ihr dann?»
Die Vorstellung, eine junge Frau derart zu quälen, ließ Jess den Glauben an die Moral seine Mitbrüder verlieren. Dass sie gegen ihre Feinde mit Härte vorgehen mussten, war klar. Dabei unschuldige Frauen oder gar Kinder zu quälen, gehörte jedoch eindeutig nicht zu seinen Methoden.
Ratloses Murmeln machte die Runde. Jess wusste, dass manche Ratsmitglieder einen solchen Hass auf die Weißen hegten, dass ihre kruden Überlegungen durchaus Zustimmung finden konnten. Das machte ihm Angst, und er fragte sich, wie er Lena vor einer solchen Entscheidung bewahren konnte.
«Es sollte völlig genügen, dem Gouverneur einen blutbesudelten Unterrock zu schicken oder noch besser ihr Mieder», schlug er mit leidenschaftlicher Stimme vor. «Desdemona schlachtet tagtäglich mindestens ein Huhn. Dessen Blut dürfte vollkommen ausreichen, um die Herren in Spanish Town in Angst und Schrecken zu versetzen.»
Cato machte ein nachdenkliches Gesicht und rieb sich den krausen Bart.
«Ja, du hast recht», sagte er, und Jess verspürte sofort Erleichterung. «Trotzdem will ich, dass du sie dazu bringst, diesen Brief zu schreiben. Mit Blut. Es muss möglichst echt aussehen, selbst wenn es nicht ihr eigenes ist. In dem Schreiben soll stehen, dass sie Angst hat und um ihr Leben fürchtet, wenn die drei Gefangenen nicht in kürzester Zeit aus dem Gefängnis befreit werden. Wenn sie sich weigert, diesen Brief zu schreiben, muss sie sterben. Ich will, dass du ihr das unmissverständlich klarmachst.»
Cato warf Jess einen triumphierenden Blick zu.
«Soweit ich weiß, bist du doch des Lesens und Schreibens mächtig. Du kannst dich hinter sie stellen und sie mit einer Machete am Hals dazu zwingen, dass sie die richtigen Worte verwendet. Hinterher bringst du den Brief zu mir, und wir schicken ihn umgehend zum Gouverneurspalast!»
Jess nickte wortlos.
«Wird gemacht», sagte er nur und stand auf.
Dann verabschiedete er sich und verließ schnurstracks die Höhle, bevor noch mehr rüde Ideen die Runde machten.
Lena erwachte lange nach Tagesanbruch mit einem Gefühl der Übelkeit und dem Bewusstsein, dass ihr etwas fehlte. Ihr treuer Bewacher hatte allem Anschein nach das Weite gesucht. Während sie sich mühsam aufrichtete, stellten sich rasende Kopfschmerzen ein. Verkatert blickte sie in das trübe Licht.
Wasser, schoss es ihr durch den Kopf, und dann – Laudanum.
Unbeholfen krabbelte sie zu ihrer Tasche und verscheuchte todesmutig zwei junge Ratten, die den Jagdversuchen von Jess offenbar entgangen waren. Mit zitternden Händen holte sie das kleine braune Fläschchen hervor, entkorkte es und träufelte sich den Inhalt tropfenweise unter die Zunge. Nicht zu viel, denn sie musste sparsam sein. Sie dachte an Lady Elisabeth, die wahrscheinlich Gallonen davon im Keller hortete.
Ihr nächster Gedanke galt Maggie, deren Schicksal ihr keine Ruhe ließ. Während ihre Freundin dort draußen in der Wildnis herumirrte oder in ihrer Verzweiflung vielleicht zu Lady Elisabeth zurückgekehrt war, hatte Lena sich von einem attraktiven Wilden zu einem Besäufnis verführen lassen.
Erinnerungsfetzen flackerten auf: wie sie immer wieder bereitwillig zur Flasche gegriffen hatte und am Ende beinahe bei Jess auf dem Schoß gelandet war. Der Rest versank im geistigen Nebel, was ihr äußerst gnadenvoll erschien. Wusste der Teufel, was weiter geschehen war. Immerhin war sie nicht in seinen Armen
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