Flamme von Jamaika
finden.»
«Verschwinden?»
In seinen Augen flackerte jener rebellische Protest, der sie bereits bei ihrer ersten Begegnung fasziniert hatte.
«Ohne dich? Kommt gar nicht in Frage. Denkst du, ich überlasse dich noch einmal diesen beiden Teufeln? Nein, du kommst mit mir. Ich bring dich zum Hafen, wie ich es dir versprochen habe, damit du von dieser höllischen Insel verschwinden kannst, bevor es noch heißer zugeht.»
Lenas Protest ignorierend, nickte er Estrelle zu. «Steck sie in Reisekleider und schau nach, dass sie alle Papiere hat, die sie braucht, um das Land zu verlassen!»
Es dauerte nicht lange, und Estrelle reichte ihr die geräumige Lederumhängetasche, die Lena schon bei ihrem unfreiwilligen Ausflug in die Blue Mountains dabeigehabt hatte. Irgendjemand musste sie nach ihrem Austausch gefunden haben.
Estrelle holte rasch ein dunkelbraunes Reitkleid aus einem der Schränke und stellte Lenas Reitstiefel bereit. Lena zögerte einen Moment, doch dann beschloss sie, Jess zu gehorchen. Für Diskussionen war im Moment keine Zeit.
«Umdrehen!», schnarrte Estrelle und meinte damit Jess, der nicht zusehen sollte, wenn sich Lena bis auf die Unterwäsche entkleidete.
Er grinste verhalten und tat, was sie sagte, während Estrelle Lena hastig die steifen Brokat-Röcke zuband und ihr in das voluminöse Oberteil mit den gebauschten Gigot-Ärmeln half. Das Kleid mit der schmalen Taille und den herabfallenden Schulterpartien machte sogleich eine Gutsherrin aus ihr. Schnell schlüpfte sie in die frisch gewienerten Stiefel und zog sich trotz der anhaltenden Wärme ein paar Lederhandschuhe über.
«Den Vorderausgang könnt ihr nicht nehmen», mahnte Estrelle. «Master Edward hat die verbliebenen Wachen unten an der Auffahrt postiert, damit sie jeden kontrollieren, der Einlass verlangt.»
«Dabei scheint er zu meinem Glück vergessen zu haben, dass es noch einen Hinterausgang zum Fluss hin gibt», spöttelte Jess mit Blick zum Fenster.
«Und was ist mit Ihnen, Estrelle?», fragte Lena, weil sie sich plötzlich bewusst wurde, wie viel die alte Sklavin riskierte, wenn sie ihr zur Flucht verhalf.
«Wird Edward Sie nicht bestrafen, wenn ich einfach verschwunden bin?»
«Ich werde ihm sagen, dass ich den Eimer vom Leibstuhl geleert habe, und als ich zurückkam, waren Sie nicht mehr da.»
«Oh danke, Estrelle!»
Lena fiel der Sklavin um den Hals und küsste ihre Wange, worauf Estrelle beschämt zu Boden schaute.
«Danke», sagte auch Jess und hob Lena im gleichen Atemzug von den Füßen. Schneller, als sie reagieren konnte, trug er sie zum Fenster. «Bist du schwindelfrei?», fragte er sie mit prüfendem Blick.
«Kein bisschen», erwiderte sie kläglich und warf einen Blick in die Tiefe. Von Panik ergriffen, klammerte sie sich an seinen Oberkörper.
«Das macht nichts», antwortete er, «wir werden es auch so schaffen. Du musst dich nur gut an mir festhalten.»
«Estrelle!», rief Lena angsterfüllt, doch Jess hatte sie bereits auf das Sims gesetzt.
Rasch legte sie sich den Schulterriemen ihrer Tasche um die Brust, in die sie alle notwendigen Dokumenten gestopft hatte, dann war sie, wenn auch widerwillig, bereit für den Abstieg. Behände kletterte Jess durchs Fenster und gab ihr zu verstehen, dass sie ihre Arme um seinen Hals legen sollte. Die Bewältigung großer Höhen gehörte zu Jess’ nachgewiesenen Dschungelqualitäten. Wie er ihr selbst versichert hatte, machte es ihm nichts aus, mit bloßen Händen und Füßen Palmen hinaufzuklettern, um Kokosnüsse zu pflücken. An ihn gekrallt wie ein Affenkind, erreichte Lena schließlich gemeinsam mit Jess festen Boden. Der Qualm der verbrannten Felder bildete mittlerweile einen dichten Nebel und machte es schwer, die Orientierung zu behalten.
«Folge mir», sagte Jess und führte sie quer durch den Park. «Unten am Fluss hab ich mein Maultier versteckt.»
«Wie stellst du dir das vor?»
Lena schüttelte im Schatten der üppig blühenden Bougainvillea den Kopf. Langsam kam ihr Verstand wieder in Gang.
«Eine weiße Lady auf dem Maultier eines Negers ist ungefähr so auffällig wie eine Horde Soldaten in Frauenkleidern. Kurz gesagt, es ist unmöglich. Wenn wir nicht auffallen wollen, muss ich mein eigenes Pferd nehmen. Außerdem sind wir dann wendiger, falls jemand auf die Idee kommen sollte, uns zu verfolgen. Ich laufe rasch zu den Stallungen und lasse meine Stute satteln. Dann komme ich zu dir zurück. Mit dem Pferd sind wir schneller.»
«Aber …» Jess
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