Flamme von Jamaika
Commodore Bolton aus dem Gefängnis herauskomplimentiert hatte, lief ungeduldig vor der Kutsche auf und ab. Lena war versucht, die alte Frau nicht unnötig aufzuregen, indem sie das ganze Ausmaß der Katastrophe offenbarte. Doch Baba war zu schlau, um nicht zu bemerken, wie schlimm es stand.
«Ich verspreche dir, alles Menschenmögliche zu tun, um das nötige Geld aufzutreiben, damit wir einen Advokaten und die Kaution bezahlen können.»
Doch als sie am Nachmittag das prunkvolle Gebäude der Kolonialbank im benachbarten Kingston verließ, musste Lena sich eingestehen, dass ihre hehren Pläne zu scheitern drohten. Der Bankdirektor, ein gebürtiger Spanier, dessen Institut ausnahmslos das Geld der hiesigen Plantagenbesitzer verwaltete, sah keinerlei Möglichkeit, ihr einen Kredit auf die von Lord William festangelegte Mitgift zu gewähren. Schon gar nicht in der geforderten Höhe. Daraufhin hatte Lena gebettelt, geweint und geflucht, doch alles ohne Erfolg. Nur mit der Unterschrift ihres Ehemannes oder ihres Schwiegervaters war es möglich, an das Geld ranzukommen.
Ratlos glitt ihr Blick in die Ferne. Die Sonne schien freundlich, und das Meer glitzerte in seinem schönsten Blau. Unzählige Schiffe mit hohen Masten und hellen Segeln tanzten auf den Wellen. Doch selbst dieser Anblick konnte Lena nicht aufheitern, weil er lediglich tiefstes Heimweh in ihr erzeugte und die Gewissheit brachte, dass eine Flucht mit Jess in unerreichbare Ferne gerückt war.
Bedrückt beobachtete sie, wie Baba ungeduldig auf dem Kutschbock auf sie wartete. Sie hatte nicht die geringste Ahnung, wie sie der alten Frau beibringen sollte, dass die letzte Hoffnung, Jess zu befreien, soeben wie eine Seifenblase zerplatzt war.
Für die Nacht hatte Lady Juliana ihnen ein gemütliches Zimmer mit zwei Betten darin in ihrem Gästehaus in Spanish Town zur Verfügung gestellt. Doch Lena war nicht fähig, auch nur ein Auge zuzumachen, geschweige denn etwas von dem köstlichen Essen anzurühren, das ein Diener zusammen mit verschiedenen Getränken auf Geheiß der Gouverneursgattin serviert hatte. Dafür hatte sie mit Baba zwei Flaschen Wein getrunken, in der vergeblichen Hoffnung, dass er die Schwere in ihren Herzen ein wenig mildern würde.
Baba wurde durch den teuren Rebensaft zusehends gesprächiger. Unentwegt fielen ihr irgendwelche Geschichten ein, mit denen sie ihre Unruhe überspielte. Von Jess, wie clever und lustig er als Kind gewesen war und wie unglaublich glücklich es sie gemacht hatte, ihn vor gut einem Jahr endlich wieder in ihre Arme schließen zu dürfen. Überraschenderweise sprach sie auch von der Schuld, die sie empfand, weil sie Lena bei ihrer Hochzeit mit Edward verhext hatte. Und dass sie mit dieser Dummheit nicht nur Lenas Leben, sondern vor allem das von Jess in große Gefahr gebracht hatte.
«Wenn es einen Gott gibt», beendete Baba ihren Monolog im Morgengrauen, «warum lässt er nicht mich an seiner Stelle sterben?»
«Das würde uns nicht helfen», erwiderte Lena. «Wir brauchen dich noch! Notfalls musst du Cato und seine Rebellen mobilisieren, damit sie Jess befreien, bevor man ihm einen Strick um den Hals legt. Doch zuvor wird mir nichts anderes übrig bleiben, als Edward auf Knien anzuflehen, dass er mir die Unterschrift für die Freigabe meiner Mitgift erteilt. Er ist auf das Geld ja nicht angewiesen. Ich meine, jetzt, wo sein Vater tot ist, wird er ohnehin alles erben, was sein alter Herr besaß. 10000 Pfund sind für ihn eine Kleinigkeit.»
Babas Blick wurde plötzlich melancholisch.
«Für mich bedeutet dieses Geld das ganze Leben», fügte sie leise hinzu.
«Nicht nur für dich», sagte Lena traurig. «Trotzdem sollte Edward möglichst nicht erfahren, wofür ich das Geld verwenden will, ansonsten wird er mich garantiert umbringen. Vielleicht sollte ich ihm zuvorkommen und ihn ins Jenseits befördern.»
Sie lächelte kalt, obwohl sie wusste, dass sie wahrscheinlich nicht fähig war, so etwas zu tun.
«Und wer erbt Redfield Hall, wenn Edward nicht mehr ist?», fragte Baba beiläufig.
«Wenn ich mich recht entsinne», antwortete Lena und überlegte, was die Londoner Advokaten ihres Vaters in den Ehevertrag aufgenommen hatten, «würde ich wohl die Erbin sein. Allerdings nur, wenn wir gemeinsame Kinder haben. Das war die Bedingung von Lord William.»
Sie dachte an das Kind, das in ihr wuchs. Wenn es von Edward war, würde sie nach seinem Tod also tatsächlich die alleinige Herrin von Redfield Hall
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