Flamme von Jamaika
nicht mehr blicken lassen. Estrelle, die mit Jeremia auf Redfield die Stellung hielt, hatte ihr sämtliche Unterlagen, die sie benötigte, in eine lederne Aktentasche gepackt.
Am frühen Nachmittag erreichten sie die quirlige Hafenstadt im Süden der Insel und steuerten sogleich die weiß getünchte Villa des Advokaten an.
«Ich habe ganz weiche Knie», gestand Lena ihrer nicht weniger aufgeregten Begleiterin, als sie die breiten Stufen zu Dr. Castlewoods Kanzlei hinaufschritten.
Ganz in Schwarz gekleidet, wie es sich für eine trauernde Witwe ziemte, betätigte Lena den schweren Türklopfer. Den blonden Haarknoten von einem schwarzen Hut bedeckt, dazu einen schwarzen Sonnenschirm in der Hand fragte sie Baba ein letztes Mal:
«Wie sehe ich aus?»
«Überzeugend», versicherte ihr Baba, die in einem grauen Kleid aus Maggies Fundus die perfekte Dienerin abgab.
Ein schwarzer Diener in Livree öffnete, und Lena überreichte ihm ihre Karte und trug ihr Anliegen vor. Zunächst führte er sie in einen schmucklosen Warteraum, in dem einige Stühle standen und es nach Aktenpapier und Tinte roch. Nach einer Weile erschien Dr. Castlewood in der Tür. Er war ein grauhaariges, agil wirkendes Männchen, kaum größer als sie selbst. Er trug eine Brille auf der Nase, durch deren Gläser ein paar freundliche, braune Knopfaugen schauten.
«Lady Blake», begann er mit anteilnehmender Miene und verbeugte sich leicht. Dabei nahm er ihre Hand und hauchte einen angedeuteten Kuss auf den Handrücken. «Mein Beileid.»
«Ihre Sklavin kann gerne hier auf Sie warten», wimmelte er Baba ab, die sich bereits erhoben hatte, um Lena zu folgen.
Lena nickte zustimmend, obwohl sie Baba gerne zur Unterstützung dabeigehabt hätte. Dr. Castlewoods Blick war weiterhin mitfühlend, als er Lena in sein Büro geleitete und ihr einen Platz auf einem mit rotem Samt bezogenen Sofa anbot.
«Ich habe schon mit Ihnen gerechnet.»
Lena war überrascht, dass sich Edwards Tod offensichtlich bereits rumgesprochen hatte. Aber Jamaika war eben nicht besonders groß, und der Klatsch blühte. Unaufgefordert begann sie mit den Einzelheiten zum Tode ihres Mannes und ihres Schwiegervaters und legte Castlewood die notwendigen Sterbeurkunden vor, die Dr. Lafayette ausgestellt hatte.
«Das ist ja wirklich furchtbar», murmelte der Advokat, während er sich hinter seinem monströsen Schreibtisch verschanzte und die Papiere studierte. Dann schaute er auf und sah ihr direkt in die Augen. «Ich schlage vor, wir gehen die Sache gemeinsam durch. Mögen Sie ein Glas Wasser?», fragte er bemüht fürsorglich. «Oder ein erfrischendes Glas Limonade?»
Lena entschied sich für Wasser und hoffte, dass Castlewoods Wissen um die Geschehnisse die anstehenden Formalitäten verkürzte. Sobald klar war, dass sie ihr Erbe antreten konnte, wollte sie zur Bank und das Geld für Jess’ Freilassung holen. Doch nachdem der Butler ihr das Getränk serviert und sich leise wieder zurückgezogen hatte, machte Castlewood all ihre Hoffnungen zunichte.
«Ein gewisser Mr. Trevor Hanson hat mich heute bereits in aller Frühe aufgesucht und erklärt, er wolle die Erbnachfolge im Testament von Lord Blake anfechten.»
Lena verschluckte sich am Wasser und begann heftig zu husten. Es dauerte eine Weile, bis sie sich wieder beruhigt hatte.
«Mr. Hanson?», fragte sie ungläubig. «Was will er denn? Er ist doch nur ein Vorarbeiter. Ich wüsste nicht, welche Ansprüche er stellen könnte?»
«Nun ja», begann Castlewood zögernd und blätterte in den vor ihm liegenden Papieren. «Da wäre zunächst eine Abfindung über 300 Pfund für dreißig Jahre treue Dienste, die Lord Blake ihm wohl im Falle seines Ablebens als Pensionsfonds versprochen hat.»
Lena winkte ab.
« 300 Pfund sind eine Kleinigkeit angesichts des gewaltigen Vermögens, das mein Mann und sein Vater hinterlassen haben.» Sie lehnte sich zurück. «Hanson soll sein Geld haben. Viel wichtiger ist, dass ich unverzüglich sämtliche Rechte an der Verwaltung der Plantage eingeräumt bekomme, damit der Betrieb möglichst rasch wieder aufgenommen werden kann. Die Plantage muss im Sinne meines Schwiegervaters weitergeführt werden. Das verstehen Sie sicher. Auch die Verwaltung der Vermögenswerte im Ausland darf nicht ins Stocken geraten.»
Dr. Castlewood sah sie aufmerksam an, dann erklärte er mit einem einschmeichelnden Lächeln:
«Sie gefallen mir. Dass Sie in Ihren jungen Jahren unvermittelt eine solch gewaltige Pflicht
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